Übrigens …

Saul im Bielefeld, Stadttheater

Liebe, Macht und Wahnsinn

Wovor haben Mächtige und Herrscher am meisten Angst? Ganz einfach: vor Herrschafts- und Machtverlust. Das war vor vier-, drei-, zweitausend Jahren nicht anders als im Jahre 2012, ist wohl so etwas wie eine anthropologische Grundkonstante. Und wie lässt sich Machtverlust verhindern? Ganz einfach: mit Gewalt. Ob erfolgreich oder nicht, lässt sich nur im Einzelfall sagen. Im Falle von Saul, des mächtigen Königs der Israeliten (wir schreiben das Jahr 1004 vor Christus) ging die Taktik nicht auf, die Gefahr des Machtverlustes durch gezielten Mord zu bannen. Davon erzählt das Alte (oder besser: Erste) Testament. Von König Saul und David, der den berühmten Kampf gegen Goliath für sich hatte entscheiden können. Das Volk liegt ihm aus diesem Grund zu Füßen – was Sauls Argwohn und vor allem Eifersucht weckt.

Georg Friedrich Händel hat aus diesem Stoff ein Oratorium gemacht, Regisseur Jörg Behr eine Oper. Er nennt das „szenische Interpretation“ – aber nachdem man drei Stunden Musik und Bühnenhandlung erlebt hat, fragt man sich, ob Saul nicht schon immer eine Krimi-Oper war. Behrs Umsetzung jedenfalls ist ihm grandios geglückt. Sie spannt unaufdringlich einen Bogen zwischen gestern und heute, sämtliche Protagonisten kommen daher, als gehörten sie entweder dem engen Zirkel irgendwelcher Regierungstreuen unserer Tage an – oder den jungen wilden Revoluzzern, die dem Establishment an den Kragen wollen. So wie David, der zottelige Outlaw, der seine Beute (Goliaths Kopf) noch mit sich herumschleppt. Der Sieger, der König werden soll und es auch wird. Bis dahin jedoch wird viel gemordet, auch Sauls Sohn Jonathan ist unter den Opfern, schließlich Saul selbst, der sich umbringt. Das entbehrt nicht einer gehörigen Tragik, denn beide waren Menschen, denen man Liebe entgegen gebracht hatte. Aber das zählt nicht unbedingt, wenn’s ums Herrschen-Wollen geht.

Ein paar Zitate – die Attribute des jüdischen Hohenpriesters, die jüdische Hochzeits-Zeremonie usw. – verorten diesen Saul in den jüdischen Kulturkreis, keine Frage. Die Grundkonstellation des Beziehungsgeflechts belassen Jörg Behr, Bühnenbildner Marc Weeger und Kostümbildnerin Eva-Mareike Uhlig im Hier und Jetzt.

Gesungen wird auf hohem Niveau. Zwei Gäste übernehmen die Hauptrollen: Frank van Hove stattet den Saul mit einem satten, kraftstrotzenden Bass aus, der mit gebieterischer Macht dahinströmt. Clint van der Linde ist ihm schon angesichts seiner körperlichen Statur ein echter Konkurrent. Sein Countertenor braucht eine kleine Anlaufzeit, um zu fester Tonbildung zu gelangen. Dann gelingen ihm aber dynamische Schattierungen vom zarten lyrischen Piano bis zum stattlichen Forte. Auch Koloraturen sind gut bei ihm aufgehoben – was uneingeschränkt auch für Melanie Kreuter in der Rolle der Saul-Tochter Merab gilt. Ihr nimmt man all die Empörung ab, mit der sie darauf reagiert, mit David verkuppelt werden zu sollen. Auf den hat Merabs Schwester Michal indes ein Auge geworfen – und daran lässt Cornelie Isenbürger mit ihren leuchtenden Tönen auch keinen Zweifel. Den Jonathan, der von David schwer begeistert ist, gibt Michael Pflumm mit beweglichem, präzis intonierendem Tenor – für ihn eine Rolle par excellence.

Wichtige Aufgaben übernimmt der von Hagen Enke ausgezeichnet einstudierte Chor: er repräsentiert das Volk, ist also direkt Bestandteil des Geschehens, reflektiert und kommentiert es aber auch. Die Bielefelder Philharmoniker unter ihrem Generalmusikdirektor Alexander Kalajdzic schaffen einen transparenten, aber nie „dünnen“ Barockklang, stellen sich ein auf die inzwischen vielfach praktizierte „historisch informierte“ Aufführungspraxis (Streicher mit nur sehr gezielt eingesetztem Vibrato, Blechbläser mit Instrumenten enger Mensur). Das klingt sehr überzeugend.