Carmen im Detmold, Landestheater

Im Bann von Eros, Macht und Gewalt

Kaum eine andere Oper hat eine solche Erfolgsgeschichte aufzuweisen wie Carmen von Georges Bizet. Mit diesem Publikumsliebling eröffnete das Detmolder Landestheater die Musiktheater-Spielzeit 2012/2013.

Die bemerkenswerte Inszenierung lag in den Händen von Intendant Kay Metzger, für die Ausstattung zeichnete Petra Mollérus verantwortlich. Nicht zum ersten Mal wurde deutlich, dass dieses Duo um eine klare verständliche Bildsprache bemüht ist, was in dieser Inszenierung auch besonders notwendig war, denn es wurde französisch – ohne Untertitel - gesungen nach dem Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy. Allerdings bedient sich Kay Metzger eines Kunstgriffs: Er lässt markante Passagen des dem Libretto zugrunde liegenden Novellentextes von Prosper Merimée aus dem Off - es ist die Stimme Don Josés - durch Christoph Gummert rezitieren. Man muss schon sagen ausgezeichnet rezitieren. Dadurch wird nicht nur die Handlung für den Zuschauer transparent, der Hörer erlebt zugleich die Innenperspektive des Protagonisten Don José, der seine Version der Geschichte am Vorabend seiner Hinrichtung erzählt. Außerdem ist es so dem Betrachter möglich, sich ohne Ablenkung (lästiges Lesen eines projizierten Textes)  auf die wunderbare Musik zu konzentrieren.

Faszinierend ist zudem, das Kay Metzger die Nebenschauplätze zurücktreten lässt und den Fokus einzig auf das Paar Carmen/Don José richtet. Alles andere dient allein der Potenzierung des zentralen Themas: Eines Kampfes der Geschlechter, exemplarisch ausgefochten. Und dieser Kampf ist so elementar wie der Stierkampf es in variierter Form darstellt. Deshalb ist auch die Bühne durch alle vier Akte als reduziert stilisierte Arena gestaltet: blutrot zu Beginn - und zum Schluss, beim bitteren Ende, verdunkelt. Diese Reduktion auf das Wesentliche beeindruckt und berührt tief.

Ein solcher Ansatz geht natürlich nur dann auf, wenn die Protagonisten dieser Anforderung standhalten. Und das wurde durchaus eingelöst. Jedenfalls in der hier besprochenen Aufführung. Rita-Lucia Schneider ist Carmen: lasziv, verführerisch. Sie wickelt die Männer um den Finger, die ihr reihenweise zu Füßen liegen. Ein tödliches Spiel mit der schlichten Triebnatur des Männlichen. Doch sie bleibt der freie Vogel, der auf jedes Besitzergreifen mit Abwehr reagiert. Auch stimmlich vermag sie diesen Facetten, Farben ihres Wesens Ausdruck zu verleihen, wenngleich sie primär durch ihre starke Bühnenpräsenz brilliert.

Emmanuel di Villarosa als Don José gewinnt vor allem mit seiner beeindruckenden Stimme. Auch er füllt seine Rolle auf der Bühne großartig aus: sein gewaltbereites Potential, seine berührende Verzweiflung am Ende. – Was für ein Ende! Mit welcher Ambivalenz liegt Carmen Don José sterbend mit einer nahezu umarmenden Geste im Arm. Hier erinnert man sich des Textes, der zu Beginn, gleichsam als Motto aus dem Off erklang: „Böse ist jedes Weib – doch zwei gute Stunden hat es: Die eine im Arm des Bräutigams, die andere im Arm des Todes.“

Dieser femme fatale ist die Figur der Micaëla gegenübergestellt. Eigentlich ein harmlos unschuldiges Bauernmädchen, wird aber von der Regie überzeichnet in die bigotte Ecke gerückt, was kaum mit der wunderbar lyrischen Musik korrespondiert. Ungeachtet dessen sang Vera-Lotte Böcker ihre melodischen Arien und das Duett mit Don José, vielleicht in der Höhe etwas zu forciert, mit überzeugender Kraft.

In dieser Arena von Liebe und Tod wirkte Andreas Jören als Escamillo ein wenig zu lässig. Als Figur fehlte ihm der Glanz, den sein Kostüm besaß. Die beiden Schmuggler: Kevin Dickmann und Hyunseung You und die Zigeunermädchen Frasquita (Sarah Davidovic) und Mercedes (Anna Werle) sorgten mit ihren Ensembles für das spezifische Kolorit ihres Milieus. Zum militärischen Umfeld Don Josés gehören Leutnant Zuniga (Joonyoung Kim) und der Sergeant Morales (Jundong Kim). Ihr männliches Requisit sind typischerweise Messer, während den Frauen rote Blumen zugeordnet sind.

Eine weitere steigernde Idee der erotisch aufgeladenen Thematik ist das Tanzpaar (Mireia Facal und Adonai Luna; Choreographie Richard Lowe), das schon im Vorspiel physisch das darbietet, was sich in der Handlung zwischen den Geschlechtern abspielt. Alle diese Momente tragen zur Verdichtung des Hauptthemas bei. Und hier ist nicht zuletzt das großartige Symphonische Orchester und der Chor zu erwähnen. Vor allem musiziert das Orchester unter der Leitung von GMD Erich Wächter außerordentlich gut. Wie schön sind die lyrischen Passagen und wie spannend sind jene der dramatischen Steigerung am Ende.

Es war ein berührend faszinierender Opernabend, der die Antagonismen zwischen den beiden Geschlechtern beeindruckend auslotete.