Boris Godunow im Dortmund, Oper

Nur der Gesang

Sängerisch erlebt die Dortmunder Oper einen großen  Abend. Wieder einmal. Das Ensemble überzeugt auf ganzer Breite. Ohne Ausfall. Der Chor singt inbrünstig und präzise und besetzt auf sehr gutem Niveau einige kleine Partien aus seinen Reihen. In gleich mehreren kleinen Rollen stellt sich Songmin Lee als neues Ensemblemitglied vor, mit ausladendem Bariton und großer Spielfreude. Die wirft auch – wie eigentlich immer – Katharina Peetz in die Waagschale, die als Schankwirtin und Amme mit wunderbar gerundetem Mezzosopran überzeugt. Dem Gottesnarr gibt Philippe Clark Hall mit leicht ansprechendem Tenor berührend Gestalt, den Geheimschreiber liefert Morgan Moody als feinsinnige Charakterstudie ab. Als entlaufene Bettelmönch-Chaoten begeistern mit großem Charme Blazej Grek mit dunkel krähendem Charaktertenor und – herausragend - Wen Wei Zhang mit anscheinend unerschöpflicher Bassurgewalt. Tamara Weimerich ist eine angemessen jugendliche Zarentochter, die erkrankte Ileana Mateescu verleiht dem Thronfolger (mit der schönen Stimme von Hanna Larissa Naujoks) sympathisches Profil. Hannes Brock gibt angemessen hinterhältig, darstellerisch wie stimmlich äußerst prägnant den Intriganten Schuiskij, Sergey Drobyshevskiy ein stimmgewaltiger, individuell timbrierter Hochstapler Grigorij mit leichten Intonationsproblemen im ersten Teil. Christian Sist gibt einen interessanten, überraschend hell timbrierten Pimen mit großer Ausstrahlung. Bleibt Dmitry Ivashenkos Boris. Er singt die Titelfigur mit wunderschön leuchtender Bassstimme nuanciert und technisch perfekt. Mit den ganz großen Rollenvertretern kann er sich – noch – nicht vergleichen. Noch ist es nur Musik. Noch rührt er nicht in dieser – neben Hans Sachs und der Rosenkavalier–Marschallin – vielleicht menschlichsten Figur des Opernrepertoires.

Die Inszenierung von Katherina Thoma macht es den Sängern auch nicht leicht. Es findet schlicht und ergreifend zu wenig Interaktion statt. Der, Umbaupausen geschickt vermeidende, waschbetongraue Kubus von Stefan Hageneier drückt kalt auf das Spiel. Freudlosigkeit, geistige Enge soll ausgedrückt werden. Dies gelingt, lähmt aber das Spiel. Die Regisseurin schenkt den Sängern zu wenig Möglichkeiten der Interaktion. Die erste Pimen-Szene etwa schleppt sich in quälender Langeweile dahin. Nichts ereignet sich. Die Beziehung zwischen den Figuren wird nur grob definiert. Entwicklungen finden nicht statt. Schade!

Jac van Steen ist Chor und Orchester ein umsichtiger Leiter, den Sängern ein fürsorglicher Begleiter. Er geht dabei sehr behutsam vor, mit klarer Linienführung. Gespielt wird die Originalinstrumentierung Mussorgskijs (und eine Mischfassung ohne Polenakt, aber mit der Szene vor der Kathedrale), die hört sich aber im ersten Teil so sanft und konventionell an, als wäre es doch Rimsky-Korssakow. Erst in der vorletzten Szene setzen sich die spröden Unterstimmen durch wie revoltierende unangepasste Klanggebilde. In den nächsten Vorstellungen wird der GMD die Zügel sicher lockerer lassen.

Was wäre mit diesem – deshalb so ausführlich gewürdigten - Ensemble möglich gewesen!