Liebe zum Detail
Und am Ende kriegen sie sich: Der klassische Filmkuss – schon sinken Professor Higgins und seine Eliza vereint in die Arme. Und so wie einen Film legt Dietrich Hilsdorf seine Version von My Fair Lady auch an. Ohne auch nur einmal ins Stocken zu geraten, fließt die Handlung dahin. Dabei gelingt es dem Regisseur und seinem Team, die Aufmerksamkeit jederzeit auf das Bühnengeschehen zu lenken, da kommt nirgends auch nur ein Hauch von unentschiedenem Dahinplätschern oder gar Langeweile auf. Da sitzt jeder Regiehandgriff an der richtigen Stelle.
Dieter Richter stellt eine monumentale Straßenfront des 19. Jahrhunderts auf die Bühne – die liefert sowohl den Opernvorplatz als auch die Wimpole Street Nummer 29 A, dem Haus, in dem Higgins residiert. Zur Seite geschoben, wird hinter dieser Front Higgins’ Arbeitszimmer sichtbar. Oder es erscheint die Galopprennbahn in Ascot, oder ein Ballsall mit veritabler Galatreppe – alles so, wie man es sich vorstellt. Auch Renate Schmitzers Kostüme sind dem Schauplatz angemessen. Herausragend und absolut phänomenal ihre Kleider und Hüte für die Ascot-Szene. Diese im Grundton helle und doch unglaublich pastell-farbenreich schillernde Ausstattung offenbaren Schmitzers Meisterschaft. Man kann sich daran überhaupt nicht satt sehen.
Das wirklich Besondere an dieser My Fair Lady ist aber die Überlegenheit, mit der Hilsdorf hier aus einer ganzen Reihe einzelner Fäden einen wunderbaren bunten Teppich knüpft. Viele kleine Regieeinfälle fesseln und machen Spaß. Etwa der kölsche Kneipenwirt im englischen Pub „King George“, der einen bühnenwirksamen Parallelauftritt hat mit dem König gleichen Namens. Dann Anspielungen auf den Untergang der „Titanic“ oder die Auftritte der Suffragetten, deren Emanzipationsstreben mit Elizas erwachendem Selbstbehauptungswillen einhergeht. Kleine nette Momente wie ein schlafwandelnder Butler oder hin und her huschende Stubenmädchen garnieren diese Inszenierung.
Klaus Schreiber spielt den polternden, pöbelnden Professor, der am Ende so herrlich zerknirscht und verliebt ist, ganz wunderbar und facettenreich – könnte sich gesanglich aber sicher noch verbessern. Regina Richter, deren Stimme perfekt passt für die Titelpartie, geht auch das Berlinerische recht gut von der Zunge. Miljenko Turk als Freddy Eynsford-Hill schmachtet herrlich snobistisch aufgeblasen und streift mit angenehm baritonal gefärbtem Tenor übers Pflaster: über „die Straße, mein Schatz, wo du wohnst“, während Hans-Jochen Röhrig als Oberst Pickering bei all seiner Nachsicht für Eliza fast schon ein wenig zu zurückhaltend agiert. Das kann man von Hans-Martin Stier als sich in steter Feierlaune befindendem Müllkutscher Alfred P. Doolittle allerdings kaum sagen. Andreja Schneider ist als Mrs. Pearce der ruhige Pol im chaotischen Haushalt Higgins, während Sigrun Schneggenburger als dessen mit spitzer Zunge gesegneter Mutter ihrem Sohn immer wieder den Kopf zurecht rückt.
Insgesamt leidet die musikalische Qualität etwas unter der Technik in der Ausweichspielstätte der Kölner Oper: dem Musical Dome – in diesem Zelt klingt alles etwas stumpf. Deshalb kann das Gürzenich-Orchester unter Andreas Schüller auch nicht wirklich großen Glanz verbreiten.
Dem Regieteam aber gelingt etwas Wunderbares :Frederick Loewes My fair Lady alle ihre Evergreen-Qualitäten zu entlocken, sie zart und behutsam zu behandeln und doch keinen Hauch von Patina zu verbreiten. Das gefällt dem Premierenpublikum, das während der von Giorgio Madia wunderbar choreografierten Applausordnung viel Beifall spendet.