Übrigens …

Le Nozze di Figaro im Köln, Oper

Komödie oder Tragödie?

„Commedia per musica“ lautet die Genrebezeichnung von Le nozze die Figaro. Der Programmzettel der Kölner Oper notiert lediglich „Oper“, was bereits ein interpretatorisches Signal ist. Regisseur Benjamin Schad wiederum spricht von einer „rabenschwarzen Komödie“. Nicht zu vergessen: bereits der Titel der Dramenvorlage - „La folle journée“ von Beaumarchais - wäre als mehrdeutig und versteckt subversiv zu deuten. Das ferne Donnergrollen der Französischen Revolution mag man verstärkend hinzu empfinden, auch wenn sich bestimmte Anmaßungen der damaligen Feudalzeit (etwa das „Ius primae noctis“) erledigt haben, die Oper somit partiell historisch wirkt. Doch viele soziale Strukturen lassen sich „übersetzen“, bleiben lebenswahr und verbindlich.

Ursprünglich sollte Figaro von Uwe Eric Laufenberg inszeniert werden. Das Zerwürfnis des Intendanten mit der Stadt, welches zuletzt die Kündigung zur Folge hatte (später abgemildert durch einen Auflösungsvertrag), machte es notwendig, alle mit ihm anvisierten Produktionen (weiterhin Così und Parsifal) neu zu organisieren. Inzwischen ist alles unter Dach und Fach, wobei die eiligste Entscheidung für Figaro zu treffen war. Die Regie übernahm Benjamin Schad, unter Laufenberg Regieassistent und Spielleiter. Mit Brittens The Turn of he Screw (demnächst Wiederaufnahme) lieferte er seine erste Kölner Eigeninszenierung ab, die - man kann es wirklich so ausdrücken - wie eine Bombe einschlug und dem jungen Szeniker den Götz-Friedrich-Regiepreis eintrug.

Ebenfalls in Köln (doch eher in Richtung Schauspiel) ist Tobias Flemming künstlerisch groß geworden; für Schad stattete er die Britten-Oper aus. Wohl auch in Anpassung an die Gegebenheiten der Ausweichspielstätte „Palladium“ hat er für Figaro eine fast ernüchternd nüchterne Wandeinfassung geliefert, die sich peu à peu auflöst und im Finalakt völliger Leere weicht, überschwebt allerdings von aufgedunsenen Kunstfiguren à la Niki de Saint Phalle. Eine Zombie-Landschaft, in welcher alle Personen mit ihren Wünschen, Hoffnungen und Erschütterungen isoliert wirken und kaum auf Anwesenheit und Tun der anderen reagieren. Die Hoffnungsutopie von „Contessa, perdono“ wird durch Lichtstrahlung angedeutet, und die Gräfin gewährt ihrem Gatten Verzeihung. Dennoch dürfte aller Zukunft ungewiss sein. Man muss sich einsehen in dieses etwas aseptische Konzept, welches jedoch zunehmend an Stimmigkeit gewinnt, auch wenn gewisse Details Rätsel aufgeben. So, dass sich Basilio immer wieder an- und entkleidet.

Bereits die von Konrad Junghänel mit dem Gürzenich-Orchester überaus sprudelnd, pointiert und farbenreich absolvierte Ouvertüre dient dem Spiel. Die handelnden Personen umlaufen mehrfach eine Wandzeichnung, die rechts die Umrisse eines Märchen(?)schlosses zeigt, links ein Kinderpaar à la Hänsel und Gretel, der Bub überdimensional geziert mit einem auch farblich hervorgehobenen Phallus. Dieses „Instrument“ ist, so wohl Schads Deutung, Auslöser des ganzen Geschehens und - vielleicht so weiter gedacht - von Anbeginn der Menschheit. Das erinnert an ein vor kurzem erschienenes Interview mit Jeanne Moreau, welche aufgrund ihrer Erfahrungen Männer als primär triebgesteuert beschreibt. Schad unterstreicht diese These, welche offenbar auch die seine ist, durch Berücksichtigung der männerkritischen Marcellina-Arie im 4. Akt, während wiederum Figaro als „blinder, betörter“ Mann über die Weiberwelt herzieht. Der Inszenierung durchaus nicht neue, aber neu beunruhigende Botschaft: Liebes- und Partnerglück fällt nicht in den Schoß, muss immer wieder erkämpft, u.U. sogar wieder geopfert werden; Beziehungssicherheit gibt es nicht. Schads Inszenierung schmeckt bitter, doch hat man dafür dankbar zu sein, auch im Namen Mozarts. Gleichwohl lässt seine Arbeit Hoffnung zu - das tröstet.

Bei den Sängern sei - wider die Tradition - mit den Nebenrollen begonnen. Ju-Hyun An gibt eine bezaubernde Barbarina und empfiehlt sich (nicht erst jetzt) für größere Aufgaben. Martin Koch agiert als Basilio prägnant (wie immer), und Alexander Fedin (Don Curzio) hat den Übergang zum Charakterfach blendend gemeistert. Über das Wiedersehen mit dem Kölner Veteranen Ulrich Hielscher (Antonio) freut man sich. Hilke Andersen (Marcellina) und Gilles Cachemaille (Bartolo-Debüt) füllen ihre Rollen gut aus. Ein sich steigerndes Figaro-Porträt liefert der junge, vielseitige Argentinier Matias Tosi. In der Essener Kultinszenierung von Don Giovanni (Stefan Soltesz/Stefan Herheim) verkörperte er sowohl die Titelpartie als auch den Leporello, ebenso (mit zusätzlichen Auftritten als Masetto) in der Kölner Laufenberg-Produktion. Jetzt überzeugt sein stimmlich wie darstellerisch agiler Figaro nach ersten kleinen Abstrichen. Adriana Bastidas Gamboa gibt einen pubertär explosiven Cherubino. Maria Bengtssons Contessa verbreitet von allem in „Dove sono“ paradiesisches Mozart-Glück, dem auch Claudia Rohrbach mit ihrer Susanna ganz nahe kommt. Mark Stone gibt mit markantem Bariton und maskuliner Attraktivität einen Macho-Almaviva, dem es ständig im Unterleib grummelt.

Noch einmal ist auf Konrad Junghänel zu kommen. In und auch außerhalb Kölns hat er sich in den letzten Jahren stark als Operndirigent im Repertoire zwischen Monteverdi und Mozart etabliert. Die Gürzenich-Musiker bilden zwar kein Spezialensemble, aber das Orchester musiziert durchaus „historisch informiert“, klangschön, moussierend. Stilistisch ist Junghänel, schon wegen agogisch sanfter Eigenwilligkeiten, der Musizierweise eines René Jacobs fast an die Seite zu stellen.