Vielschichtiges Spektakel im gallischen Bonn
Es war schon ein ungewöhnlicher Opernabend in der Bundesstadt Bonn. Da geht der brave Bürger fein gewandet und gut gelaunt in Bellinis Norma, ein Schmachtfetzen zwar, aber unbestritten einer der Höhepunkte des Belcanto. Mit Miriam Clark in der Titelrolle war ein aufgehender Stern am Sänger-Firmament angekündigt – man durfte also gespannt sein. Vor der Ouvertüre und dem Vorhang erfuhr man dann von einem schicken smarten und sehr selbstbewusstem Herrn, offensichtlich der Regisseur der Aufführung, dass „Casta Diva“, unbestrittenes Zentrum der Oper, und diese Oper überhaupt, als Markstein der wahren Musik anzusehen sei; man werde sich alle Mühe geben, mit einem opulenten Werk der Stadt ihre Sparwut auszutreiben. Als „amuse geule“ reichte er dann fünf Minuten „Casta Diva“ vor dem Vorhang, Clark im roten Langen, der Chor in Abendgarderobe.
Das sollten eigentlich die Etat-Verantwortlichen hören, die die Bonner Oper nach Köln verlegen oder ganz dichtmachen wollen. Das klappte zwar nicht, aber bis zum Rathaus schallten vermutlich die gellenden Pfiffe, Buh- und „Aufhören“ und „Klappe-halten“-Rufe. Was war los mit der Norma?
Der junge Florian Lutz, der sich 2010 schon mit der Carmen Freunde in Bonn geschaffen hatte, inszenierte das Werk quasi auf zwei Ebenen als „Oper in der Oper“ mit einem „Regisseur-Kollegen“ (hervorragend der Schauspieler Roland Silbernagl, leider nicht in der Besetzungsliste aufgeführt); dieser beordert über sein Mikrofon Lichttechnik und Requisiteure, organisierte den Aufbau der Bühne, legte sich - dicke Zigarre paffend – mit dem Dirigenten und den Sängern an, verwies drohend auf das volle Haus mit jeder Menge Kritikern und wollte gar die Sängerin der Norma aus dem Ensemble werfen. Die kernigen Sprüche erklangen nicht nur in kleinen eingeschobenen Musikpausen, sondern auch während der Musik. Parallel dazu lief eine Aufführung der Norma oder eher eine Generalprobe; die Szene wechselte dann zwischendurch „backstage“ in eine Garderobe mit Flügel und Schminkspiegel, wo die eigentlichen dramatischen Konflikte ausgetragen wurden. Zum Schluss dann wieder die große Bühne, die zahlreichen Choristen, Musiker und Statisten zunehmend entkostümiert.
Ja, die Kostüme. Der Librettist Felice Romani hat die Geschichte um Eifersucht und Treue, Politik, verschmähte Liebe und uneheliche Kinder im von den Römern besetzten Gallien spielen lassen. Lutz scheint ein intimer Kenner der einschlägigen Literatur um das standhafte Dorf zu sein; so schuf er flugs eine neue Ausgabe von „Asterix und Obelix“, alle Akteure perfekt gekleidet nach den Zeichnungen von Uderzo, dazu natürlich Hinkelstein, Harfe und Idefix. Gut für den, der „seinen Asterix“ noch im Kopf hatte. Kein Wunder, dass schon früh etliche Zuschauer gingen; haben sie den Regie-Ansatz nicht verstanden oder waren nicht neugierig genug zu erfahren, wie die Geschichte weiter ging? Und das war spannend genug.
Der Konflikt um den gemeinsamen Liebhaber Pollione wird nicht in der eigentlichen Inszenierung, sondern in der Operngarderobe, gleichzeitig Spielzimmer von Normas Kindern, ausgetragen. Hier ist subtiles Kammerspiel angesagt, mit eindrucksvoller psychologischer Personenführung; der Konflikt Norma-Adalgisa entlädt sich gar in einer handfesten Keilerei. Pollione, dargestellt wie der Formel-1-Tycoon Flavio Briatore und auch so genannt, ist Vertreter des Jetset, ein Playboy unter Sänger-Stars, ganz nah am Heute. Wenn Norma ihre getöteten Kinder vorzeigt, ist sie zum Schluss mit ihrem Schicksal ganz alleine, sie ist Norma und spielt die Rolle nicht nur; die ehemals bunte Asterix-Welt verschwindet im Hintergrund der Bühne.
Man kann sich natürlich schon aufregen über diese Norma und nach der (Un-)Tauglichkeit fragen, den Stoff derartig dramatisch zu verfremden. Man kann der Inszenierung eine Beschädigung der Musik vorwerfen, eine unzulässige Verstümmelung und Vermischung der Handlungsebenen, viele Striche in der Partitur, kann Verständnis haben für konservative Opernbesucher, die einfach nur eine „schöne“ Norma erleben möchten. Aber immerhin einig war sich das volle Haus über die sängerische Qualität auf höchstem Niveau, Miriam Clark und Nadja Stefanoff mit ebenbürtigen großen Stimmen öffneten weit das Herz jedes Belcanto-Liebhabers. Auch George Oniani als Pollione stand den Damen mit seinem exzellenten Tenor in nichts nach; herrlich die Duette und Trios, so manch einer mag die Augen geschlossen haben. Unter den übrigen Sängern sollte die ausgezeichnete Clothilde von Daniela Denschlag besonders erwähnt werden, dazu natürlich die beiden sehr natürlich spielenden Kinder.
Chor und Extrachor hatten offensichtlich viel Spaß am vielfältigen Spiel, sangen dennoch stimmschön und präzise, was bei dem Gewusel auf der Bühne nicht einfach gewesen sein dürfte. Das gilt auch für den Dirigenten Robin Engelen, der seine Musiker souverän und klangschön durch die vielen Klippen der modifizierten Partitur leitete und sich auch vom „Regisseur“ nicht aus der Ruhe bringen ließ. Die vielen Missfallensäußerungen vor der Pause waren beim Schlussapplaus deutlich geringer, die Sänger wurden bejubelt, Applaus und Bravi deutlich in der Überzahl, wenngleich der schauspielernde Regisseur auch etliche Buhs abbekam; aber er konnte ja nun am wenigsten dazu.
Es ist natürlich die Frage, inwieweit eine solche Inszenierung die Verantwortlichen, welche Eintrittskarten gegen Kindergartenplätze rechnen, noch mehr von der Notwendigkeit einer qualifizierten Oper wegbewegt. Aber gerade eine solche opulente Inszenierung ist ein Paradebeispiel dafür, was Oper, was Gesang, Bühne und Musik alles hervorrufen kann an Gefühlen und Freude, aber auch an Ablehnung. Es ist vom Grundsatz her falsch, die Bonner Norma schlecht zu reden oder zu schreiben, es gibt tolle Sänger und Musiker, eine bunte, gut gespielte Inszenierung mit viel Optik, aber auch Schmerz und Tragik. Man muss nicht beckmesserisch alles nach einer Norm beurteilen.