Zwischen vorgestern und heute
In ihrer vor Jahren bereits in Luzern und München gezeigten, aber sehr frisch wirkenden Inszenierung spiegelt Tatjana Gürbaca erfolgreich das Verhalten heutiger junger Menschen in Liebesangelegenheiten am historischen Epochenübergang von Rokoko und Pietismus zur Aufklärung. Mozart und da Ponte weiß die Regisseurin dabei mit Sicherheit an ihrer Seite.
Ingrid Erb hat drei ein Zimmer bildende Wände auf die ansonsten leere Bühne des kleinen Palladiums gestellt. Hier haben sich Fiordiligi und Dorabella eingesponnen in ihre Spiele, Empfindungen und Sehnsüchte. Ihre Geliebten sind für sie vor allem Projektionsfiguren, gefühlte Idealtypen. Mit Alfonsos Treueprobeverfahren kommen Risse in den Käfig, der dann gegen Ende komplett abgebaut wird. Jetzt müssen sich die jungen Damen dem erbarmungslosen Licht der Aufklärung stellen, den Idealen von Vernunft, Nutzen und Fortschritt. Fiordiligi will fliehen, Dorabella bricht weinend zusammen – und im Hintergrund lauert schon in Form eines malerischen Abendhimmelprospekts die Romantik.
Der Ansatz überzeugt durch klare Durchführung, wobei glücklicherweise das komische Element nicht zu kurz kommt. Es wird vor allem durch gewollte Kollisionen der multiplen Spiel-, Erzähl- und Deutungsebenen herausgekitzelt. Die Verspieltheit des Rokoko, das Ausblenden des Vergehens von Zeit etwa ist sowohl im Verhalten der jungen Frauen, in ihrer teilweise parodistischen Charakterisierung durch die Inszenierung als auch – teils ernst, teils parodistisch – im Orchester präsent. Oder profaner: Wenn der hervorragende Opernchor Soldat spielt, fragt man sich: Was haben die da an? Karnevalsuniformen der Blauen Funken oder doch Marineuniformen aus der lange abgespielten Billy Budd–Inszenierung?
Viel gibt es zu sehen auf der leeren Bühne – und alles stimmt irgendwie. Die Auslegung des Textes, die Bewegungsabläufe, der Umgang mit Requisiten, das Hineinlauschen in die Partitur… Und doch macht sich ein leichter Eindruck von Überinszenierung breit. Die Komplexität von Stück und Inszenierung fordert viel von den Sängern, so dass an wenigen Stellen, etwa im Finale des ersten Aktes, die Abläufe zwar professionell durchlaufen werden, aber nicht organisch wirken.
Cosi fan tutte ist mehr als fast jedes andere Stück von einer homogenen Ensemblebesetzung abhängig. Die ist der Kölner Oper auf hohem Niveau gelungen. Voran die Soprane: Claudia Rohrbach hält die Dienerin Despina von aller Soubrettenharmlosigkeit fern. Ihr frischer lyrischer Sopran zwitschert und funkelt und erschafft einen kompletten Menschen voll Lebensfreude, Sensibilität, Brillanz – und Geldgier. Die sehr charmante Sabina Cvilak singt die Arien der Fiordiligi mit großformatiger, herrlich durchgebildeter Stimme, souverän und bewegend. Katrin Wundsam bleibt eine Nuance neutraler im Ausdruck, besticht aber durch große Beweglichkeit, stimmlich wie darstellerisch. Matthias Klink ist mit gleißendem Tenor ein starker, sehr sensibler Ferrando mit schmelzender „Aura amorosa“. Miljenko Turk bleibt leicht hinter ihm zurück mit seinem hellen Bariton, der in den Rezitativen schon mal ein wenig wackelt, hat aber sehr schöne komische Momente. Den Alfonso singt Carlo Lepore. Er intoniert gelegentlich etwas hemdsärmelig und nimmt der Figur schon mal die Schärfe, wenn er ihre Wut und Besserwisserei in Buffo-Manier sympathisch auffängt. Aber er verfügt über einen klangschönen und expansiven Bass – und vor allem ein fantastisches Parlando. Am schönsten gelingen die Ensembles. Hier wird rein intoniert und die Stimmen, besonders die von Fiordiligi und Dorabella, mischen sich aufs Allerschönste.
Am Pult des Gürzenich-Orchesters steht Konrad Junghänel, dem Vernehmen nach zumindest bei einer Premiere zum vorläufig letzten Mal. Das ist sehr bedauerlich, denn diese Cosi zeigt, klarer und ausdrucksstärker als der in vieler Hinsicht verwackelte, voraus gegangene Figaro, die besonderen Talente dieses Alte-Musik-Spezialisten: Klares Umreißen der musikalischen Strukturen, energetischer, dynamischer Fluss der Musik ohne Druck, Atmen mit Sängern und Musikern. Das Orchester folgte mit spürbarer Begeisterung und besonders spielfreudigen und brillanten Holzbläsern. Man wird Konrad Junghänel vermissen an der Kölner Oper!