Ach, wie so herrlich zu schau’n!
Wandrer, suchst du die oft totgesagte - und genauso oft als billige und lieblose Abonenntenspeisung missbrauchte – Operette, dann verirre dich doch mal planmäßig nach Köln-Rodenkirchen. Da lebt sie, strahlend schön. In der kleinen Kölner Kammeroper toben 14 Sänger und Tänzer hemmungslos fröhlich über höchstens 40 Quadratmeter Bühne und feiern Johann Strauß‘ Eine Nacht in Venedig.
Natürlich erfinden Sie das Rad nicht neu vor den liebevoll gestalteten mediterranesken Häuserfassaden von Gertie Trautvetter und Ulrich Wolf, aber Christian Poewe gelingt eine im besten Sinne konventionelle Aufführung. Das Grundmuster der Kunstgattung – zündende Unterhaltung mit einem verträglichen, witzig vorgebrachtem Quantum Gesellschaftskritik – kommt fast explosiv zum Tragen. Dazu tragen die modernen, augenzwinkernd auf Venedig-Klischees verweisenden, sehr attraktiven Kostüme von Karisma-Costumes genauso bei wie die vom Regisseur stark gekürzten und dezent modernisierten Dialoge.
Wir sind in Venedig. Der Karneval steht unmittelbar vor dem Ausbruch und der Herzog, ein berüchtigter Frauenheld, gibt ein Fest, auf dem sich sämtliche dünn gesponnenen Erzählfäden verknäulen, bis am Ende jeder Topf seinen Deckel gefunden hat – bis auf das Alphatier.
Es ist die Stärke der Inszenierung, die Vorgänge hochunterhaltsam, witzig und temporeich, aber nicht vollkommen harmlos zu erzählen. Sämtliche Männer erscheinen entweder von sexueller oder ökonomischer Begierde gesteuert, die Frauen zwar integer, aber immer gerne verführbar. Auch der Karneval wird ambivalent gezeigt: Die Lust sich kollektiv zu berauschen, die Leere danach, das bis zur Grausamkeit reichende Unverständnis dem gegenüber, der nicht mittun will und die Lächerlichkeit desjenigen, der nur mittut, um dazuzugehören.
Vor allem aber ist diese Nacht in Venedig ein Riesenspaß. Das Timing stimmt in jedem einzelnen Moment. Es wird charmant und unangestrengt gespielt, die Choreographien von Carlos Matos sind ein Vergnügen für sich, und die musikalische Umsetzung ist absolut begeisternd. Wie Jörg Pitschmann, der gemeinsam mit Katherina Hur am Flügel vierhändig begleitet, es geschafft hat, die Ensembles klanglich so fein auszubalancieren, ohne dass die Spielfreude oder die Textverständlichkeit darunter leiden, ist ein großes Geheimnis.
Das Ensemble komplett namentlich aufzuzählen würde den Rahmen sprengen. Großartig waren sie alle, ob Jürgen Strohschein als Charmeur Caramello, Friseur des Herzogs mit leicht gerührtem Spielbariton oder Wolf Latzel als vor Spielfreude, auch stimmlich, geradezu überlaufender Makkaronikoch Pappacoda. Angeführt wird dieses tolle Ensemble von der stimmmächtigen Sabine Laubach, die die Kunst der Operette im kleinen Finger zu haben scheint und von Maria Muchas mitreißend dummer Ciboletta. Mucha begeistert mit schlankem, überraschend ausdrucksstarkem Soubrettenton, der eine große Zukunft hören lässt. Schließlich Antonio Riveras Herzog: mehr als ein Gentleman, ein schöner, beweglicher, perfekt geführter Tenor von bronzenem Glanz, ein eleganter Charmebolzen im perfekt sitzenden Anzug. Wenn er den berühmten Lagunenwalzer singt, wird es ganz still und treibt einem Tränen der Wonne in die Augen.
Einzige Möglichkeit, den Genuss zu steigern: Das Ganze auf einer größeren Bühne – und mit Orchester! Alle Sterne des Himmels!