Zum Schenkelklopfen
Und zum Schluss geht es mit einer stampfenden Polonäse rund um den Orchestergraben schnurstracks in den Operettenhimmel. Das Publikum ist begeistert, klatscht eifrig mit im straffen Rhythmus. Eine Szene von vor vierzig Jahren aus Heinz Schenks „Blauem Bock“? Oder den Fernsehshows von Anneliese Rothenberger oder Erika Köth? Nein, es ist das Finale der Premiere im Theater Münster im November 2012. Ulrich Peters, der neue Intendant des Hauses, gibt seinen Einstand als Regisseur. Im weißen Rössl steht auf dem Programm. Und es stellt sich gleich die Frage: Ist denn das alles gleich so wie zu Zeiten weinseliger Operettenduseligkeit?
Nein, angeblich nicht, denn schon mit der Auswahl des Stückes will Peters klar machen, dass er Operette anders zeigen möchte. Das Äußere aber bleibt erst einmal. Und folgerichtig entwirft Christian Floeren eine Seelandschaft mit Bootsanleger und Hotel mit Balkon – ein weißes Rössl eben. Droben im Gebirge taucht mitunter eine Pappgemse auf und am Gestade eine ebensolche Kuh. Doch reichen diese Pappkameraden als Mittel ironischer Brechung aus? Wird da überhaupt irgend etwas gebrochen? Eher nicht, denn die Geschichte, die sich da am Wolfgangsee abspielt, wirkt in der Inszenierung von Ulrich Peters wie ein eindimensionales, oberflächliches Bild ohne tieferen Sinn.
Dabei haben Komponist Ralph Benatzky und vor allem Robert Gilbert, der Verfasser der Gesangstexte, schon ein gutes Stück Sprengkraft angelegt in ihrer Schilderung einer vermeintlich idyllischen, friedlichen Alpenlandschaft. Wie jede gute Operette hält auch das Rössl seinem Publikum den Spiegel vor, reflektiert das gesellschaftliche Miteinander, das zur Entstehungszeit des Stückes – Uraufführung im November 1930 in Berlin – von Wirtschaftskrise und politischen Umbrüchen geprägt war. Kleines Beispiel: da singt der hoffnungslos in die Rössl-Wirtin verliebte Zahlkellner Leopold „Der Mensch kann arbeiten, wenn er hofft!“ – und Leopolds Angebetete antwortet mit dem Satz „Der Mensch darf nur hoffen, wenn er arbeitet.“ Wenn danach im Publikum gelacht wird (wie hier in Münster), ist etwas schief gelaufen. Die Parodie – und das Weiße Rössl ist nichts anderes – wird als Ansatz einer das Stück ernst nehmenden Regie von ihr nicht aufgegriffen. Deshalb wirkt Peters’ Lesart so unkritisch und beschränkt sich auf die Nacherzählung diverser Liebesgeschichten und den Umstand, dass das Weiße Rössl eine gut gehende Ausflugskneipe ist (denkbar wäre, auch den Ausverkauf der Natur als Ware in den Blick zu bekommen [„Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein, und keen Aas dabei weiß wieso!“] – oder das „Heim ins Reich“, dem Österreich schon weit vor 1930 fröhnte). Alle Nase lang gibt es etwas zu lachen, aber es ist ein affirmatives Lachen, keines, was einem im Halse stecken blieb (und stecken bleiben müsste). Dass das Leben mehr Schein als Sein war und das Rössl eine beißende Satire auf diesen Schein – davon ist hier nichts zu spüren. Also wird Benatzkys Stück gezeigt als das, zu dem es vor vierzig, fünfzig Jahren gemacht worden ist: nette Unterhaltung mit seligen Melodien.
Musikalisch macht Münsters Rössl eine enorm gute Figur. Hendrik Vestmann, der scheidende Erste Kapellmeister, findet mit dem Sinfonieorchester Münster genau den richtigen Ton (Schmelz, Zackigkeit, Lyrik, Poesie). Gesungen und gespielt wird ausgezeichnet. Da ist Fritz Steinbacher als Sigismund Sülzheimer, Robert Sellier als Rechtsanwalt Otto Siedler; Erwin Belakowitsch umwirbt seine Rössl-Chefin Josepha Vogelhuber alias Lisa Wedekind. Dirk Lohr grantelt in herrlichstem Berlinerisch herum, Henrike Jacob ist seine Tochter; Wolfram Grüsser und Kathrin Ost treten als ziemlich versponnenes Vater-Tochter-Pärchen auf, Tom Ohnerast erweist sich als überaus quirliger Gustl, dem anzulernenden Kellner. Marek Sarnowski als Kaiser Franz Joseph und Larissa Neudert als Christel von der Post sind fabelhaft. Auch Münsters Opernchor singt und spielt völlig überzeugend – in einer Inszenierung, deren hausbackener Humor dem Stück kaum zum Sprung ins Heute verhilft.