Wahre Liebe wirkt Wunder
In manch einem Märchen wird geküsst – und schwupps, steht ein Prinz wie neugeboren da. Das ist auch in der Geschichte namens „Die Schöne und das Biest“ so, einem französischen Märchen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Hier aber wird nicht nur ein Biest von seinen unvorteilhaften Hörnern und seinem grauenvollen Äußeren befreit – hier wird gleich ein ganzes Schloss samt Personal zu neuem Leben erweckt. Als Zeichentrickfilm aus der Disney-Produktionswerkstatt ging Beauty and the Beast von 1991 an um die Welt, der Komponist Alan Menken machte daraus ein 1994 uraufgeführtes Musical.
Mit Musicals kennen sich Bettina und Klaus Wulfheide gut aus, schließlich haben sie in den letzten neun Jahren im ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück bislang drei Musical-Produktionen auf die Beine gestellt. Jetzt ging die vierte über die Bühne, eben Die Schöne und das Biest. Es ist die glanzvolle Teamarbeit von weit mehr als hundert Menschen, sowohl innerhalb der von dem Ehepaar Wulfheide privat betriebenen Musikschule als auch begeisterten SängerInnen und MusikerInnen aus der Region. Eine Teamarbeit, die vor rund 18 Monaten begann und interessierte Musical-Macher aller Altersgruppen zusammengeführt hat. Der große Saal in Rhedas „Reethus“ (der Stadthalle mit über 500 Plätzen!) bot nun die Kulisse für die mit frenetischem Applaus gefeierte Premiere der Geschichte um jene junge und schöne Belle, die in die Klauen des in das Biest verzauberten Prinzen gerät.
Geradezu zauberhaft verzaubert ist aber auch das Schloss: da gibt es eine sprechende Kaminuhr, auch eine Teekanne samt Tasse, die beide rege durch die Gegend trippeln, eine Wäschekommode, einen Leuchter, der gern mal seine Flammen gen Himmel zucken lässt – allesamt geschlagen vom Fluch. Und es gibt die (vermeintliche) Dorfidylle mit Fachwerkhäusern, das Zuhause von Belle und ihrem Vater. Und da ist da noch dieser Gaston, ein echter Don Juan, ein etwas dümmlicher Macho, der es auf Belle abgesehen hat, sie aber nicht bekommt. Viel Stoff also für ein abendfüllendes Musical, nette Nebenfiguren inklusive.
Was das Team da präsentierte, war eine Gemeinschaftsleistung allererster Sahne. Da passte alles: die Bühne mit klaren, sprechenden Bildern und schmucker Ausstattung; ganz fantasievolle Kostüme, jedes für sich eine Augenweide, vor allem Teekanne, Kommode, Uhr und Leuchter; eine perfekt eingerichtete Choreografie, die mit den doch eher beengten Verhältnissen auf der Bühne prima auskam – wie überhaupt die ganze Inszenierung größten Respekt verdient angesichts der eher bescheidenen bühnentechnischen Mittel, die da verfügbar waren. Aber mitunter ist der „Mangel“ an Technik ja auch ein Vorteil.
Gespielt wurde mit absoluter Leidenschaft, ausnahmslos. Wobei das Publikum schnell seine „Lieblinge“ hatte. Moritz Linnhoff etwa als Lefou, den bedauernswerten Diener Gastons, für den Karsten Reker viel Selbstbewusstsein und Muckis in den Armen aufbot. Oder Matthias Grimmelsmann als herrlich ‚fronsssösisch’ näselnder und sich elegant bewegender Armleuchter. Andreas Hahn als um Erlösung aus seinem Uhrenkorsett flehender Monsieur von Unruh war herzerfrischend, auch Beate Kautzmann als Madame de la grande Bouche, die ihrer Vergangenheit als Operndiva nachtrauerte. Frisch wie ein Wirbelwind Laureen Risse als Babette, die der Zauber in einen Staubfänger verwandelt hat. Grazil wie wertvolles dünnes Porzellan agierte Barbara Grohmann-Kraaz alias Madame Pottine, im Verein mit Jonathan Hunold als Tassilo (nomen est omen) sorgte sie für stets frischen Tee. Josef Hunold gab den Maurice, Belles Vater mit Erfinder-Ambitionen, den das Dorfvolk gern für verrückt erklärt. Jörg Berhorst schließlich schlüpfte in die Rolle des Direktors der Irrenanstalt.
Aber natürlich gehörten die größten Sympathien dem Paar, das dem Musical seinen Namen gab. Gerhard Freese als Biest, der seine Rolle vom unbeherrschten Grantler allmählich abstreifte und ihr die Augen öffnete: Belle, die in der Dorfgemeinschaft ob ihrer sonderlichen Schwäche fürs Lesen zur Außenseiterin geworden war – und in dem Biest ein eben solches Außenseiterdasein erkannte. Victoria Rapp machte all diese Gemütszustände durch und durch glaubhaft und war überdies auch stimmlich ein Glanzpunkt dieser Inszenierung.
Alle Akteure auf, vor und hinter der Bühne dürfen stolz sein auf dieses Märchen, auch das hellwach und präzis arbeitende Orchester, von Klaus Wulfheide temperamentvoll angeleitet. Streicher, Holz, Blech, eine Menge Keyboards und etliches an Percussion – das gab prägnanten Rhythmus, jede Menge Farbe und authentischen Musical-Sound. Toll!
Produktionen wie diese sind Gold wert. Weil sie ganz viele verschiedene Menschen mit ganz vielen verschiedenen "Hintergründen" (Profis, Semi-Profis, Laien) zusammenbringen im Hinblick auf ein gemeinsames Projekt, an denen alle wachsen. Und es dürfte ein nachhaltiges Projekt sein. Will heißen: so manch einer wird "infiziert" mit dem Bühnen- und/oder Musik-Virus. Und das ist eine Menge wert!
Neben der Premiere sind weitere fünf Vorstellungen terminiert – alle sind ausverkauft. Deshalb wurden zwei Zusatztermine organisiert: am 23. und 24. Februar 2013. Karten dafür sind erhältlich bei der Flora Westfalica. (Link dazu hier)