Wiederaufnahme einer aufregenden Produktion
Die Oper der Stadt Bonn kam mit der von Köln kürzlich in die Schlagzeilen, als wieder einmal von Fusionsabsichten verlautete. Kurz danach war aber von „Missverständnis“ die Rede, zumal zwei der Prüfungskandidaten von ihrem „Engagement“ erst aus der Presse erfahren hatten. Tohuwabohu, mit Sicherheit nicht das letzte an der Rheinschiene in Sachen Kultur. Im Moment sollte, was Bonn betrifft, besser der wiederaufgenommene Jephta die Schlagzeilen füllen. Er gehört fraglos zu den bestechendsten Händel-Aufführungen nicht nur der engeren Region. Premiere war 2005 (im Programmheft nicht erwähnt) und schloss ein von Dietrich Hilsdorf inszeniertes Händel-Triptychon ab, welches 2001 mit Saul spektakulär begonnen hatte (charismatisch als David: Jörg Waschinski). Charismatisch war jetzt auch Daniel Johannsen, ein junger österreichischer Tenor, als Jephta freilich auf alt geschminkt. Seine schlanke Evangelisten-Stimme alleine vermag der Partie vielleicht nicht alle Schicksalskonturen zu erschließen, aber die vokale Expressivität ist frappierend, die Bühnendarstellung erschütternd. Ähnlich intensiv gibt Julia Kamenik (wie schon vor sieben Jahren) Iphis, die aufgrund eines Gelöbnis ihres Vaters den Tod erleiden soll. Sie nimmt dieses Schicksal mit unerschütterlicher Kindesliebe an - das spiegelt sich im Gesicht der Sopranistin auf beklemmende Weise. Einfühlsam ihr Gesang.
Musikalischerseits gilt es noch Andreas Spering hervorzuheben, im nahen Brühl Leiter der Schlosskonzerte und ausgewiesener Spezialist für Musik des 17. und 18. Jahrhunderts. Er formt aus dem Beethoven-Orchester (wie zuvor Jos van Veldhoven) ein erstklassiges Händel-Ensemble, präzise im Spiel, intensiv im Ausdruck. Dass dies im zweiten Teil des Werkes besonders zum Tragen kommt, hat sicher auch damit zu tun, dass die Zuspitzung der Handlung Händels Musiksprache, auch und gerade an Stellen der Zurückgenommenheit, nachgerade schicksalhaft glühen lässt.
In den 80er Jahren war Dietrich Hilsdorf in Bonn auch als Schauspielregisseur tätig, jetzt konzentriert er sich allem Anschein nach (auch anderswo) exklusiv auf die Oper. Es gab bei ihm durchaus „wilde“ Jahre, doch inzwischen hat er zur einer Art von „Altersstil“ gefunden. Von seinem favorisierten Ausstatter Dieter Richter lässt er sich in der Regel realistische, groß dimensionierte Räume bauen, wie jetzt auch bei Jephta. Die aus dem Boden aufsteigenden Rauchschwaden geben der Szene etwas My(s)t(h)isches. Über dem Orchestergraben ist eine zusätzliche Spielfläche angebracht, auf welcher sich vorzugsweise dramatisch zugespitzte Szenen abspielen. Kostümbildnerin Renate Schmitzer darf ihre (historische) Fantasie voll ausleben.
Hilsdorf inszeniert wie stets die Handlung von Opern nachvollziehbar, klar, stringent. Er führt alle Personen mit starker Expressivität, welche ritardierende Momente der formbewussten, in Bonn mit einigen Strichen verknappten Jephta-Musik zum Teil überspielt, aber manchmal auch bewusst in die Darstellung und Gebärdensprache hineinnimmt. Diese Mischung beeindruckt nicht zuletzt beim Chor, der zwar hin und wieder gestische Akzente setzt, aber meist statisch verharrt, was bei Hilsdorf aber mehr ausdrückt als bei anderen Regisseuren hektische Betriebsamkeit.
Interessant und aufregend die Umdeutung des „lieto fine“, mit welchem das Idomeneo-ähnliche Sujet barocktypisch endet. Zur Erinnerung: Der israelische Hohepriester Zebul ruft seinen vertriebenen Bruder Jephta zurück, auf dass dieser ihm gegen die Übermacht der Ammoniter helfe. Um diese Aufgabe zu bewältigen, gelobt Jephta das Opfer des ersten Menschen, welcher ihm nach siegreicher Rückkehr begegnet. Es ist Iphis, seine Tochter. Doch, wie gesagt, lieto fine. Hilsdorf inszeniert es als coup de théatre Zebuls mit einem überdimensionalen Rauschgoldengel, welcher von Iphis als Dank für die Errettung vor dem Beil ewige Keuschheit verlangt, womit sich Zebul dynastisch absichert: Die Liebe von Iphis und Hamor hat jetzt keine Chancen mehr. Gebrochen geht sie ab, der Chor feiert alte Machtverhältnisse.
Wie Julia Kamenik waren auch Susanne Blattert und Martin Tzonev an der Jephta-Premiere 2005 beteiligt. Die bewährte Mezzosopranistin des Hauses singt so schlank wie sie aussieht, was zu dem Jephta von Daniel Johannsen gut passt. Etwas mehr dramatischer Nachdruck wäre freilich nicht von Übel. Über den verfügt Tzonev mit Macht. Und wie immer, wenn er Fieslinge wie einen Zebul spielen darf, ist er mit seiner schwarzen Bassfülle und seiner ausdrucksvollen Mimik besonders überzeugend. Countertenöre erreichen uns mittlerweile auch zunehmend aus Russland. Im Moment macht beispielsweise Yuriy Mynenko von sich reden, der an der CD-Einspielung von Leonardo Vincis Atarserse und den szenischen und konzertanten Aufführungen dieser Oper beteiligt ist. Artem Krutko, geboren in Tscheljabinsk, hat in seiner Heimatstadt sogar Mozarts Cherubino verkörpert, was angesichts seiner direkten, fast etwas schneidenden Stimme nicht ganz leicht vorstellbar ist. Doch in Verbindung mit enormer Bühnenagilität ist sein Hamor ein voll überzeugendes Porträt. Klarstimmig lässt sich Vardeni Davidian als Engel vernehmen, der verstärkte Chor hat einen großen Abend und genießt seine Auftritte merklich.