Mit Leichtigkeit, aber ernsthaft
„Toll trieben es die alten Römer“ lautete vor Jahren ein etwas klamaukhafter Historienfilm. Klamauk könnte, wer absolut will, in einigen Momenten auch Jens-Daniel Herzogs Inszenierung von I’Incoronazione di Poppea unterstellen, vor allem bezüglich der Figur Senecas. Monteverdis Musik legt natürlich nahe, diesen altersweisen Mann als moralische Zucht einfordernde Kontrastfigur zur verlotterten Politspitze zu porträtieren. Dass in Seneca aber auch eine gehörige Portion griesgrämiger Selbstgefälligkeit und wohl auch einige Eitelkeit steckt, zeigt der Regisseur vor allem in zwei Szenen. Als verknöcherter Schulmeister mit dem Stock in der Hand malträtiert er seinen „Schüler“ Nerone, erzieht ihn zu freudloser Korrektheit. Es verwundert also durchaus nicht, wenn dieser sich an seinem „Pauker“ rächt. Der verordnete Selbstmord bereitet dem in einer Badewanne liegenden, von Büchern bedeckten Philosophen allerdings regelrechte Freude, denn Mercurio kündet ihm mit dem Todesurteil gleichzeitig die Unsterblichkeit im Reiche der Götter an. Von dort hat der eilende Bote ein ganzes Arsenal von Suizidinstrumenten mitgebracht; Seneca probiert sie fröhlich gestimmt aus. Dieses aufgekratzte Bild passt erstaunlich widerstandslos zur dunkel ernsten Musik.
Monteverdis Oper heißt nicht einfach Poppea oder Poppea ed Nerone, sondern I’Incoronazione di Poppea. Die schöne, machtlüsterne Titelheldin hat also erkennbar nur die Eroberung des römischen Thrones im Visier. Ob und wie weit sie ihre Liebe zu Nerone vortäuscht, hätte womöglich ein zusätzlicher Akzent der Inszenierung sein können. Aber dass sie die auf eine Karriere an ihrer Seite spekulierende Amme Arnalta am Ende zum Teufel jagt, mag Fingerzeig genug sein für ein einzig auf‘s eigene Ego gerichtetes Handeln. Sogar ausgesprochen makaber fällt das Schlussbild aus. Das neue Kaiserpaar hält eine brennende Fackel in der Hand, um kniendes Volk hat Amore (bei Anke Briegel ein süßer, in Wirklichkeit aber verruchter Bengel) Benzin in Form von Goldflitter gegossen. Hier kommt einem das brennende Rom vor Augen.
Machtkämpfe spielen sich nicht nur in irdischen Gefilden, sondern auch auf höherer Ebene ab. Fortuna, Virtù und Amore machen sich gegenseitig den Rang streitig, hochgestochen predigend, in der Aktion indes zickig und banal. Vorbildhaft Moralisches blendet Herzogs Inszenierung aus. Von Weihevollem, wie in L’Orfeo oder Il Ritorno di Ulisse in Patria reichlich vorhanden, bleibt kaum etwas übrig, Steuerung durch Eitelkeit und Triebe dominiert. Bei aller komödiantischen Ausführung ist das eine extrem pessimistische Sicht, von den kothurnhaften Allegorien traditioneller Barocksujets radikal fortführend. Um den Aspekt eines „theatrum mundi“ zu unterstreichen, lässt der Regisseur die Sänger zunächst mit ihren Unterkleidern auftreten. Die rollenpassende Garderobe (schicke Fummel von Mathis Neidhardt) schwebt dann vom Bühnenhimmel hernieder - das leichtgewichtige, aber Ernsthaftigkeit wahrende Spiel kann beginnen.
Die Aufführung findet in einem golden ausgeschlagenen Probenraum oder ähnlichem hinter der großen Bühne statt. Die lang gezogene, mittige Spielfläche wird von Zuschauertribünen gesäumt, die rundum verlaufende Empore reichlich für Aktionen genutzt. Sie nimmt auch das Orchester auf. Solcherart ist man dem Spiel der Akteure so nahe wie kaum sonst, was den Darstellern nicht nur ein besonders diszipliniertes Agieren abverlangt, sondern auch Körpermut.
Die Mimik wirkt wie unter einem Vergrößerungsglas, Als besonders eindrucksvoll sind in diesem Zusammenhang zu nennen: der (etwas zu?) schönstimmig, aber auch sehr charaktervoll singende Christoph Strehl (Nerone), Tamara Weimerich als tanzquirliger Valletto (auch Fortuna) und vor allem Ileana Mateescu. Ihr Ottone ist mit gesanglicher und darstellerischer Intensität nachgerade sensationell, das Gesicht der Mezzosopranistin wirkt ungemein „sprechend“. Die Poppea von Eleonore Marguerre gibt sich in jeder Hinsicht sexy, Katharina Peetz ist eine würdevolle Ottavia, als liebestraurig beschwipste Eifersüchtige aber auch komisch. Dass Christian Sist schwarze Bassfülle nur begrenzt zur Verfügung steht, ist für das Dortmunder Seneca-Porträt durchaus passend. Pauschale, aber ausnahmslos positive Namensergänzungen bei den Mehrfachpartien: Julia Amos, Maria Hiefinger, Philippe Clark Hall, John Zukerman und Morgan Moody. In der gesehenen dritten Vorstellung fiel Lucian Krasznec als Arnalta leider aus. Die kurzfristige Rollenaufteilung mit Susann Kalauka (Regieassistentin - Spiel) und Hans-Jürgen Lazar (Gast aus Frankfurt - synchronisierender Gesang von der Seite aus) konnte das Profil der Figur nur andeuten. Die aus Spezialisten rekrutierte Continuo-Gruppe vermag stilistisch zu überzeugen, die Musiker aus den Reihen der Dortmunder Philharmoniker wirkten an diesem Abend allerdings nicht voll konzentriert, so wach Fausto Nardi auch seines Dirigentenamtes waltete.