Übrigens …

Manon im Dortmund, Oper

Naiv in die Tragödie

Was interessierte den Franzosen Jules Massenet (von seinen Kritikern ironisch „Gounods Tochter“ wegen seiner süffig-süßlichen Musik für die Bühne genannt) am Thema seiner Manon, für die sein Landsmann Abbé Prevost die literarische Vorlage (1731) lieferte? Natürlich die tragische Love Story um ein Luxusweib, das alle Phasen zwischen Verliebtsein, Hingabe, Laster, Schuld und Verlassenwerden durchlebt. Ein psychologisches, subtiles Geflecht war es bestimmt nicht, was der auf deutschen Häusern nach wie vor relativ selten präsente Komponist Massenet im Sinn hatte. Manon – eine große, wankelmütige, egomanische und zugleich naive Frau mit tödlichem Schicksal, in das sie ihren Geliebten des Grieux mit hinein zieht. Also ein funkelnder, glühender Reißer, wie er damals in den Kulturzentren goutiert wurde. Das alles teilt sich weitgehend ungebrochen in der Partitur des zu Lebzeiten viel gefragten Romantikers mit. Dort spielt im wahrsten Sinne „die Musik“ – mit vielen Zwischentönen, melodischen Höhepunkten, glitzernder Fassade, aufkeimender Hoffnung, Verzweiflung und tiefem Schmerz.

In Dortmund gedachte man des 100. Todestages durch eine konzertante Begegnung mit diesem Schauer- und Rührstück, das jede Menge Sentimentalität versprüht – aber eben auch mit packenden theatralischen Szenen aufwartet. Das heißt also: Oper im Frack – wenn auch die Titelheldin die Robe ein paar Mal wechselt. Aber ohne Bühnenbild, ohne Verortung in der als leichtlebig geltenden Metropole Paris. Die Musik steht im Mittelpunkt, die Charaktere können sich entfalten und behaupten, nichts lenkt den Blick des Publikums ab. Leider war die Premiere nur schwach besucht – Dortmund leidet nach wie vor unter dem Problem, dass selbst Gutes und Spannendes eine ziemlich geringe Resonanz im Westfälischen auslöst. Zumal, wenn es sich um ein Werk ohne populäre Durchschlagskraft handelt. Und Massenets Manon gilt vielen als unbekannte Größe…

Aber das Haus wartet dafür mit einer Riesenüberraschung auf. Eleonore Maguerre, seit einem Jahr Mitglied des Dortmunder Ensembles, trifft hier auf ihre Paradepartie. Ihre Stimme schmeichelt verführerisch, putscht sich in entscheidenden Situationen zum Hochkaräter auf, verdämmert zum Ende hin in der Hoffnungslosigkeit und der Trauer einer zerstörten Liebe. Manon und des Grieux scheitern an den gesellschaftlichen Umständen – und an sich selbst, weil sie keine Kraft zur Wahrheit und deren harte Konsequenz haben. Erst im Schlussbild gestehen sie sich das Nichtwahrnehmen von bitteren Erfahrungen. Die Erkenntnis kommt zu spät…

Die konzertante Fassung erlaubt das Konzentrieren auf die Musik. Ein lohnendes Angebot, denn Massenets Partitur schwelgt in substanzreicher, sinnlicher Farbigkeit. Sicher, in unseren Ohren heute mag vieles süß und beinahe nett klingen – aber in der Gesamtheit des Notenpakets kommen auch Tragik und fatale Ausweglosigkeit zum Tragen. Dass Massenet jedenfalls einer der besten Repräsentanten der Opéra lyrique war, das zeigt sich auch hier – und Dirigent Lancelot Fuhry lässt die Philharmoniker entsprechend furios auflodern. Manchmal „drückt“ er eine Spur zuviel – und deckt so Stimmen zu. Kitschig hört sich das jedoch in keinem Moment an.

Zwei Stars geben das hohe sängerische Niveau vor: Eleonore Marguerre als Manon und der koreanische Tenor Kyungho Kim als Grieux. Beide singen sich die Lust, den Charme und die Trauer (ihrer Charaktere) von der Seele, beide genügen jederzeit den Anforderungen der Partien, beide besitzen einen Zugang zum Belkantistischen und zur Lyrik der Massenet-Melodik. Man hätte diesem Duo gewünscht, dass es auch seine darstellerischen Fähigkeiten hätte einbringen können. Aber diesen wird bei einer Konzertversion schnell Grenzen aufgezeigt. Marguerre und Kim wurden lange von den „Kennern“ im Parkett und auf den Rängen umjubelt.

Die kleineren Partien waren „normal“, also ohne größere Auffälligkeiten in den Details besetzt.