Dramaturgie und Regie
Kölner haben den Theatermann Michael Hampe umfassend erlebt. Vor seiner dortigen Opernintendanz liegt freilich noch eine breite Tätigkeit auf dem Gebiet des Sprechtheaters; außerdem spielt Michael Hampe professionell Cello. Eine breite Bildungsbasis also für den Beruf des Regisseurs, der so viele Disziplinen umfasst. Zwanzig Jahre an der Spitze des Kölner Opernhauses bestätigten Hampes Fähigkeiten nachdrücklich. Als Szeniker war er freilich nicht gänzlich unumstritten. Zwar haftet eine mutige, krasse Deutung von Hans Werner Henzes Wir erreichen den Fluss in der Erinnerung, doch die wirklich kreativen Arbeiten in jener Zeit kamen eher von einem Willy Decker, damals regelmäßig am Hause arbeitend.
Nicht unbeeinflusst dürfte Michael Hampe auch von den Kölner Mozart-Inszenierungen Jean-Pierre Ponnelles geblieben sein. Wie dieser lieferte er penibel durchdachte, handlungslogische Arbeiten ab, die aber immer auch etwas selbstverliebt dekorativ wirkten. Die vielen Rossini-Komödien war man irgendwann einfach satt. Für einen Giulio Cesare und eine Cosi fan tutte kehrte Hampe später gastweise an die Kölner Oper zurück - und man erschrak förmlich über dieses Puppentheater mit den vielen Leerläufen. Die Deutsche Oper am Rhein hat sich fraglos etwas dabei gedacht, als sie den Regie-„Altmeister“ zu Le nozze di Figaro einlud und diese Inszenierung nur wenige Monate nach Karoline Grubers aufregender Giovanni-Deutung ansetzte.
Zunächst gilt es freilich den Hut zu ziehen. Eine derart fundierte Werkbetrachtung ohne intellektuell hochgestochenes Vokabular wie die von Hampe im Duisburger Programmheft liest man selten. Aber der großartige Text ist auch entlarvend, was den Schritt vom Vor-Denken zum Nach-Arbeiten betrifft. Zu seiner Kölner Cosi hatte Hampe angemerkt, dass er jetzt inszenatorisch mit mehr Grautönen arbeite. Auf der Bühne sah man davon allerdings nichts, jedenfalls nichts, was ohne deutlichen Fingerzeig hätte auffallen, womöglich als Erleuchtung ins Auge hätte springen können. Für seinen Duisburger Figaro wählt der Regisseur den höchsteigenen Begriff „Glaubwürdigkeits-Zeitraum“. Wenn eine bestimmte Gegebenheit, in diesem Falle das „Ius primae noctis“, über den im Libretto vorgegebenen historischen Fixpunkt hinaus Wirkung hat (dem ist so),lässt sich die Handlung „in eine uns näher liegende Epoche verschieben, ohne ihm (dem Sujet) Gewalt anzutun.“
An der Deutschen Oper am Rhein schlägt sich dies in der Ausstattung von German Droghetti nieder: kein überladenes Rokoko-Dekor, sondern weite Wandflächen mit nur wenig Zierrat (erster und zweiter Akt), die Kostüme bereits in Richtung Directoire bzw. Empire weisend. Aber das alles bleibt immer noch hübsch malerisch, wofür das Auge durchaus dankt, und der Saal des dritten Aktes ist ganz einfach prachtvoll. Aber das Finale. Symmetrisch aufgestellte Kunstlaub-Rondelle mit runden Sichtfenstern, hoch über der Bühne ein Dach von Tannenzweigen, im Hintergrund blinken Sternlein. Ponnelles Kölner Figaro lässt heftig grüßen.
Hampes Erzählweise ist die eines inspirierten Routiniers, einige wirklich hübsche Einfälle konzentrieren sich auf den dritten Akt, allerdings ohne Bedeutung von essenziellem Gewicht. Den Schluss löst Hampe so, dass er nach dem „Friedensgesang“ alle Personen bis auf Susanna und Figaro wegblendet, das Interesse an zukünftigen Entwicklungen also ganz auf dieses junge Paar lenkt. Eine Stellungnahme gibt der Regisseur damit aber nicht ab.
Anders der Dirigent Axel Kober. Er erzeugt mit den Duisburger Philharmonikern einen sehr direkten Mozart-Klang schon deswegen, weil das Orchester erhöht sitzt. Aber ein gewisses Maß an Harnoncourtscher Härte war wohl so oder so sein Ziel. An die trockene Schärfe des Klangs gilt es sich zunächst zu gewöhnen, doch gewinnt sie mehr und mehr an Plausibilität und Wirkung.
Die Sängerbesetzung ist hochkarätig, selbst die Comprimario-Partien wirken ausgesprochen individuell: Marta Márquez (Marcellina), Sami Luttinen (als Bartolo besonders stark, freilich auch mit einer effektvollen Arie bedacht), Bruce Rankin (ein herrlich schleimiger Don Basilio), Johannes Preißinger (Don Curzio) und Daniel Djambazian (ein vom Suff endlich einmal erlöster Antonio). Entzückend die Barbarina von Anna Lucia Richter, was Besucher ihres nachgerade sensationellen (Einsping)Liederabends vor einigen Wochen in der Kölner Philharmonie allerdings kaum gewundert haben dürfte. Eine frische und charmante, sich zudem enorm steigernde Susanna gibt Anett Fritsch, eine Gräfin von nobler Distinktion Sylvia Hamvasi, den Cherubino von Annika Kaschenz möchte man immer wieder umarmen. Dennoch leichter Vorsprung bei den Herren. Der noch nicht 30jährige Adam Palka singt und spielt den Figaro mit erfrischender Rustikalität und verfügt dazu über eine enorm standfeste Bassstimme. Als cholerischer, immer wieder in die Enge getriebener Graf bietet der Litauer Laimonas Pautienius (er war an der Deutschen Oper am Rhein zuletzt auch Don Giovanni) eine Musterleistung an psychologisch stimmigem Gesang bei gleichzeitig ausnehmend brisanter Bühnenpräsenz.