Triumph der Liebe
Was ist eine altmodische, verstaubte Oper schon gegenüber dem coolen Auftritt einer kessen Blondine nebst dazugehöriger Boy-Group? Da kann die ehrwürdige Bühnenkunst ja eigentlich nur den Kürzeren ziehen. Dies befürchtet zumindest der Komponist in Richard Strauss’ Ariadne auf Naxos, soll doch unmittelbar nach der Präsentation seiner ersten Schöpfung mit so tragischem Inhalt eine Komödie gespielt werden! Es kommt aber noch schlimmer, weil auf Geheiß dessen, der das Geld für dieses musikalische Abenteuer spendiert, nun auf einmal beides gleichzeitig ablaufen soll: Tragödie und Klamauk!
Regisseur Michael Sturminger bringt Strauss’ Nachdenken über Kunst und Musik auf die Bühne - eine überzeugende, klare und gut nachvollziehbare Interpretation ohne jede philosophische Überfrachtung. Da werden Menschen erfahrbar wie der konsternierte Komponist, von der flirtenden Zerbinetta dazu überredet, den Deal mitzumachen. Zerbinetta selbst ist mehr als nur das, was ihre komödiantische Fassade vorgibt. Sie fühlt mit, als sie der verlassenen Ariadne begegnet und ihr die Trauer über verflossene Liebe austreiben will. Das Ganze findet selbstverständlich so statt, wie Strauss und sein Librettist Hugo von Hofmannsthal es angelegt haben: als Theater auf dem Theater. Schon vor dem ersten Takt Musik geht’s da reichlich geschäftig zu. Ein Bühnenbild wird zusammengebaut, technisches Personal und ein Inspizient laufen aufgeregt herum, die Künstler belegen ihre Garderoben. Und dann geht es los, das Spiel unter verschärften Bedingungen, weil der ganze Zauber bis zu Beginn des vom Hausherrn fest terminierten Feuerwerks abgespielt sein muss.
Am Ende aber darf die Liebe triumphieren: In der Oper kriegt Ariadne ihren Bacchus, im wahren Leben die Clowns die Nymphen und Zerbinetta den Komponisten. Das ist eigentlich pure Operettenseligkeit, darf aber auch genauso sein. Schließlich haben vorher Ariadne und Zerbinetta die zwei Pole der Liebe verdeutlicht und sie beide als genuin menschliche Empfindung geerdet.
Die Kostüme der Essener Inszenierung zitieren hier die „altmodische“ Oper, dort den angesagten Chick von heute; eine intelligente Lichtregie schafft subtile Stimmungen, die Essener Philharmoniker und ihr Dirigent Stefan Soltesz sind Garanten für Strauss-Qualität vom Feinsten. Aber das war in den letzten zehn, zwölf Jahren nie anders. Ausgezeichnet agiert das zahlenmäßig äußerst üppige Sänger-Personal, überwiegend aus dem eigenen Haus. Da ist Michaela Selinger als großartiger Komponist mit fein strömendem Mezzo, Albrecht Kludszuweit als Tanzmeister, die vier Buffo-Leute (Günter Kiefer, Rainer Maria Röhr, Roman Astakhov, Andreas Herrmann) oder Jeffrey Dowd als Bacchus. Silvana Dussmann als gern gesehener Gast macht alle Leiden der Ariadne erfahrbar, Julia Bauer imponiert mit einer Zerbinetta, die den unglaublichen technischen Schwierigkeiten dieser Partie gegenüber absolut gewachsen ist.
Grenzenlos war der Jubel des Premierenpublikums. Derart viele „Bravi“ hat es in Essen lange nicht mehr gegeben.