Übrigens …

Die Erschaffung der Welt - das Musical im Schauspiel Essen

Wäschespinne statt Revuetreppe

Das Beste vorweg: Ja, sie haben es geschafft. Stephan Kanyar (Musik), Thomas Gsella (Liedtexte) und Maren Scheel (Buch) haben aus der Schöpfungsgeschichte tatsächlich ein rundum kurzweiliges Musical geschrieben. Chapeau! Jetzt wurde es vom Schauspiel Essen uraufgeführt. Pech!

Das Stück selbst bietet alle Voraussetzungen für einen handfesten Theaterabend – und das, obwohl es sich der sperrigen Schöpfungsgeschichte bedient. Doch die Lust und Phantasie, mit der sich das Autorenteam das Sujet vornimmt, überzeugt und überrascht. Wir sehen natürlich wie Raum, Zeit, Pflanzen, Tiere und Menschen entstehen. Aber auch wie sich Gott und Charles Darwin über die richtige Deutung der Menschheitsgeschichte streiten – und Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben werden und in einer Kleingartenanlage landen. All das bietet Stephan Kanyar und Thomas Gsella genug Gelegenheit, ihre erstaunliche Kreativität auszuleben. Wir treffen singende Aminosäuren, Fische, Neandertaler und sogar einen traurigen Dino, der sich auf seine Spielzeug-Auferstehung freut, um endlich lieb geworden zu werden.

Stephan Kanyars Musik, in Essen von einer achtköpfigen Band famos gespielt, kennt erfreulich viele Facetten und bietet von der gefühlvollen Ballade bis zum groß angelegten Showstopper alles, was es für ein waschechtes Musical braucht. Mit Thomas Gsella, Lyriker und ehemaliger „Titanic“-Chefredakteur, steht ihm ein Autor zur Seite, der Kanyars Songs mit raffinierten, mitunter bösen Texten zusätzlich auflädt. „Die Welt ist schön, die Welt ist gut, denn uns kriegt kein Gift, kein Atomkrieg kaputt“, trällern etwa zwei Kakerlaken munter und es klingt nach Karneval in Rio. Charles Darwins Arterhalt-Song – „Es lebe hoch der Arterhalt, hoch leben die Erfinder! Denn weil es die Verhütung gibt, gibt es nicht immer Kinder!“ – wiederum gerät zur bumsfidelen Bierzeltnummer. Von der Anlage also ein großer Spaß.

Der wird indes in Essen schon durch den Sound getrübt. Viel von Thomas Gsellas Text geht einfach unter, was in diesem Fall besonders ärgerlich ist. Leider setzt das Schauspiel Essen für die Uraufführung des Stücks auch keine Musical-Darsteller ein, sondern baut auf das hauseigene Ensemble. Das spielt zwar gut, doch mit dem Singen und Tanzen hapert’s an der einen oder anderen Stelle beträchtlich. Dazu kommen die Inszenierung von Caroline Stolz und die Choreographien von Veruschka Hall, die einen ratlos zurücklassen: Warum tragen die Engel Fatsuits? Warum bleiben die Choreographien auf dem Niveau eines Jazztanzkurses für Erwachsene stehen? Was sollte das sein? Ein Musical? Eine Musical-Persiflage? An die Phantasie des Autorenteams kommt das Bühnenteam nicht heran und so bleibt auch die Performance auf halber Strecke liegen. Natürlich: Die Szene mit Raum und Zeit ist wundervoll, genauso wie das Neandertal-Lied oder das Aufeinandertreffen von Dinosaurier und Fischen. Was Regie und Choreographie indes fehlt, ist die hemmungslose Lust an der üppigen Show. Wo Kanyars Musik nach Revuetreppe schreit, bleibt die Szene lieber bei Gartenzaun, Wäschespinne oder – noch schlimmer – leerer, schwarzer Bühne. Ein bisschen mehr Friedrichstadtpalast, dafür ein bisschen weniger Schauspielhaus-Mief und der Abend wäre gerettet. Vielleicht bei den nächsten Inszenierungen. Zu wünschen wären sie dem Musical.