Gescheiterte Liebe
Kunst und Kunstbegriff stehen im Mittelpunkt von Helen Malkowskys fantastischen Contes d’Hoffmann am Theater Bielefeld.
Der Dichter Hoffmann wird von seiner mit allen Wassern gewaschenen Agentin, der Muse, in immer neue Liebesabenteuer getrieben, damit sein neues Buch rechtzeitig zur bereits überall angekündigten Autorenlesung fertig wird. Hoffmann soll erleben, ja durchleiden, um den Roman authentisch schreiben zu können. Und so wird Kapitel für Kapitel abgehakt: beginnend in einer Theaterkantine, in der Hoffmann auf seine neueste Flamme wartet, wird er hineingeworfen in die Welt des Action-Künstlers Spalanzani. Der ist in Not, denn die Puppe, die er für seine neue Performance benötigt, ist nicht fertig geworden. Und weil wir uns im Kunstmarkt der Schönen und Reichen befinden, einer Welt also, in der Kunst vor allem mit Geld und Erfolg gleichgesetzt wird, wird seine Tochter Olympia selbst zum Teil des Happenings - ein „Teil“, das er gnadenlos erschießt. Und der verliebte Hoffmann muss erkennen, dass er nie in eine richtige Frau, sondern immer in ein Objekt verliebt war – ein Stoff wie gemacht für einen Roman. Und der setzt sich fort. Hoffmanns nächste Liebe ist Antonia. Hin- und hergerissen zwischen Pflichterfüllung und Berufung zur Sängerin geht sie an diesem Konflikt zugrunde. Malkowsky bringt dieses Spannungsfeld mit bestechenden Bildern auf die Bühne: Antonia ist ob ihrer seelischen Zerrissenheit längst medikamentenabhängig. Sie wünscht sich einerseits eine kleinbürgerliche Familie mit Hoffmann – andererseits die große Karriere auf der Opernbühne. Und dieser Aspekt wird dann eine der ganz großen Szenen in Bielefeld. Als Hoffmann und Antonias Vater vereint versuchen, ihren Dealer Mirakel auszubooten, gaukelt der ihr im Rausch einen Auftritt ihrer toten Mutter vor. Das stürzt Antonia endgültig in Verzweiflung und sie bricht zusammen. Toll der Einfall, Antonias Mutter als Automat auf der gleichen Bühne wie Olympia auftreten zu lassen.
Überhaupt: das Fundament, das das Gelingen dieses Hoffmann ermöglicht, ist die perfekte Drehbühne von Saskia Wunsch. Sie gestattet fließende Szenenwechsel, bruchlose Übergänge und so das Verschmelzen sämtlicher Sequenzen. Das ist exemplarisch an der Barcarole zu sehen, die von allen (!) beteiligten Frauengestalten und durch alle Szenenbilder hindurch gesungen wird – ein Gesamtbild für Hoffmanns scheiterndes Liebesleben. Grandios.
Diese Szene ist auch der gelungene Übergang zum letzten Akt, in der Giulietta im Mittelpunkt steht: sie ist niemand anderes als die Kantinenpächterin des Theaters. Und das Spiegelbild, das sie Hoffmann raubt, ist der fertige Roman. Der Dichter sieht, dass alle ihn lesen und fühlt seine Seele entblößt. Als er dann noch merkt, dass Stella für ihn verloren ist, betrinkt er sich hemmungslos, während bei einer Pressekonferenz alle auf seinen Roman anstoßen, dessen zynischer Titel „Nur noch einmal“ ist.
Und so ist am Ende die aufmunternde, versöhnliche Arie der Muse in diesem Fall auch als Drohung an den Dichter zu verstehen, bis zur Autorenlesung unbedingt wieder nüchtern zu sein.
Bewundernswert, wie Helen Malkowsky es immer gelingt, ihre Regiekonzepte mit szenischer Stringenz umzusetzen und in einprägsamen Bildern zu verdeutlichen. Ihre ruhige, unaufgeregte Personenführung tut ein Übriges.
Richard Carlucci zeichnet die seelischen Nöte des Hoffmann mit feinen Zwischentönen - eine tolle Leistung, auch wenn am Ende die Kraft ein wenig nachlässt. Melanie Forgerons Muse steigert sich immer weiter – ihre Schlussarie strahlt dann ganz rotgolden. Tuomas Pursio zeichnet die fiesen Charaktere mit stimmlich starrer Härte, während Michael Pflumm den Dienern mit beweglichem Tenor je ganz eigene Charaktere verleiht.
Sarah Kuffner beeindruckt mit ebenmäßiger Stimme als Giulietta, Antje Bitterlich ist eine großartige Olympia mit mühelos erreichten Spitzentönen und absolut sauberen Koloraturen, Melanie Kreuter spielt und singt die verzweifelte Antonia mit großer Intensität und glaubwürdiger Ausstrahlung.
Elisa Gogou treibt die Bielefelder Philharmoniker mit großer Geste durch Offenbachs großartige Musik, temperamentvoll und spannungsgeladen. Hier und da könnte an Kleinigkeiten in Sachen Perfektion durchaus noch gearbeitet werden. Dennoch: ein schwer beeindruckender Opernabend, an dem vor allem Operndirektorin Helen Malkowsky ihr ganz großes Können demonstriert.