Happy End im Seifenschaum
Il Barbiere di Siviglia und Bonn - da denken langjährige Besucher vermutlich besonders gerne zurück an eine gut zwanzig Jahre zurückliegende Produktion. Seinerzeit regierte Jean-Claude Riber im Opernhaus und konnte dank finanzieller Unterstützung durch den Bund „Star“-Sänger en masse engagieren. Die Inszenierungen jedoch (vor allem die des Intendanten) sahen bei aller Opulenz der Verpackung in der Regel arm aus. Willy Deckers Rossini-Arbeit jedoch war ein Lichtblick, ein Superereignis auch jenseits von Lokalpatriotismus. Das hinreißendste Rollenporträt kam freilich aus dem Ensemble des Hauses: Anna-Katharina Behnke als schnapssüchtige Berta (heute ist sie eine weltweit gefragte Salome). Jetzt macht Vardeni Davidian aus dem Opernchor (offenbar kurzfristige Rollenübernahme) gute Figur, agiert höchst aufgekratzt und singt mit einem kraftvoll-kernigem Sopran, der sich auch für Rosina eignen würde. Aber als alternative Besetzung für diese Partie, welche in der Premiere der Neuproduktion von Kathrin Leidig schön und geschmeidig, aber um einige Grade zu „brav“ gesungen wurde, steht Susanne Blattert zu erwarten, die in dieser Rolle schon vor einem Jahrzehnt auftrat. Noch stärkere Sympathien als Vardeni Davidian erreichten in der Neuproduktion Tamás Tarjányi (Almaviva). 27 Jahre ist er jung, schlank, gut aussehend und ein virtuoser Darsteller. Die Stimme ist (noch) etwas schmal, erinnert (auch damit) ein wenig an Luigi Alva. Wie Tarjányi den Jephta Händels bewältigt, wäre bei Gelegenheit noch zu erkunden (an dieser Stelle wurde die Besetzung mit Daniel Johanssen gewürdigt). Darstellerisch dürfte er in jedem Falle hinreißend sein. Die Rollenentwicklung dieses ungarischen Tenors sollte man aufmerksam verfolgen.
In Philipp Himmelmanns Barbiere-Inszenierung sind alle Mitwirkenden (inklusive Chor) in merklich bester Laune. Ramaz Chikviladze war wohl noch nie so körperbeweglich wie jetzt als Bartolo und gibt der Partie mit seinem profundem Bass feste Kontur. Kompliment auch für Martin Tzonev, der als Basilio an irgendeiner Stelle sogar ein hohes G schmettert. Kostümlich aufgedunsen und mit Klumpfuß durchstakst er das wirbelige Geschehen. Als fast schon dämonisch gezeichneter Figaro hält Giorgos Kanaris, vital und beweglich singend, die Fäden der Handlung fest in der Hand. Nicht-imaginäre Fäden (bzw. Plastik- Schnüre) hängen vom Bühnenhimmel herab, in denen es mitunter dezent blinkt. Lustige Tentakel. Ansonsten wird die Ausstattung Johannes Leiackers von riesigen Haar-Applikationen auf dem Rundhorizont geprägt, von gewellten Spielplattformen und Commedia dell’arte-nahen Kostümen (Gesine Völlm), ergänzt durch herrlich verrückte Frisuren.
Philipp Himmelmann hat am Opernhaus seiner Heimatstadt Bonn mit sehr unterschiedlichen Stücken reüssiert, wobei ihm komödiantische Opern wie Prokofjews Liebe zu den drei Orangen oder zuletzt Mozarts La finta giardiniera (diese freilich deutlich durchsetzt mit abgründigen Zügen) besonders zu liegen scheinen. Im Barbiere ist die Gewitterszene zwar etwas mühsam als Schmerzausdruck der sich betrogen glaubenden Rosina angelegt, es gibt in der Inszenierung auch den einen oder anderen Durchhänger, auch Momente, wo sich Gestisches einfach nur wiederholt. Insgesamt jedoch bietet Himmelmanns pralles, vitales, detailfreudiges Komödientheater, dessen köstliche Absurditäten das Publikum merklich entzücken. Mit ein Höhepunkt ist die Rasierszene, wo Unmengen von Seifenschaum aus dem Bühnenhimmel die Szene förmlich überschwemmen. In diesen Wogen spielt sich dann der Rest der Oper ab. Zu den surrealen Bildideen gesellt sich zuletzt noch der Notar, in Bonn ein Engelchen mit Flügeln.
Unter Robin Engelen erklang die Ouvertüre am Premierenabend noch etwas scharf, später spielte das Beethoven Orchester weichgestimmter, spritzig, servierte Rossinis instrumentatorische Finessen brillant und gelenkig.