Bluthochzeit
Zeitgenössische Opern leiden oft darunter, dass sie nach ihrer Uraufführung schnell wieder in Vergessenheit geraten. Bei Wolfgang Fortners Bluthochzeit war es ausnahmsweise mal etwas anders. Nach ihrer Präsentation im Rahmen der Eröffnung der neuerbauten Kölner Oper im Jahr 1957 - Günter Wand stand am Dirigentenpult - wurde Fortners „lyrische Tragödie in zwei Akten“ vergleichsweise häufig inszeniert. Dennoch stand sie dann fünfundzwanzig Jahre nicht mehr auf den Spielplänen. Man fragt sich nach der am vergangenen Wochenende heftig umjubelten Premiere in der Oper Wuppertal: warum eigentlich?
Denn die Bluthochzeit ist spannendes, packendes Musiktheater von enormer Sogwirkung. Inhaltlich nirgends verstaubt, musikalisch durch und durch faszinierend. Fortner greift auf Federico García Lorcas Drama zurück - Regisseur Christian von Götz verortet die Handlung in eine andalusische Plattenbausiedlung von heute. Da hält man nach wie vor viel auf Ehre und Respekt. Mann und Frau, Sohn und Tochter - es ist ein ziemlich genauer Kodex, nach dem dieses soziale Biotop funktioniert. Es herrscht das eiserne, archaische Gesetz der Blutrache Wenn da etwas aus dem Ruder gerät, kommt schnell ein Messer ins Spiel. Denn die (namenlose) Braut will ihren (ebenso namenlosen) Bräutigam heiraten. Doch da kommt ein anderer dazwischen, Leonardo (die einzige einen Namen tragende Person). Der entführt die Braut, die ihm schon seit langem zugetan ist. Das Problem der Mutter des Bräutigams: der Entführer Leonardo und die Braut stammen beide aus dem Clan der Mörder ihres Gatten und ältesten Sohnes. Am Ende gibt es zwei Opfer des Messer mehr.
Also eine ziemlich dramatische Geschichte. Voller Figuren, bei denen es hinter der je starr zur Schau gestellten Fassade ziemlich brodelt. Die traumatisierte Mutter, die ewig auf Rache für Mann und Sohn sinnen wird; der Bräutigam, der seine Felle davonschwimmen sieht, weil seine Braut nach wie vor in den von ihrer Familie wegen Mittellosigkeit abgewiesenen Leonardo verliebt ist. Fortner schafft mit der Bluthochzeit wirklich berührendes Theater, setzt Garcia Lorcas Drama ungeheuer feinfühlig in Musik um, unterstreicht dabei den so schönen dunklen, poetischen Text. Und Fortner gelingt in den 1950er Jahren etwas, was für uns heute oft ein wichtiges Element beim Theater ist: Er verbindet verschiedene Sparten miteinander. So stehen reine Sprechrollen neben den Gesangspartien und es gibt auch Zwischenrollen mit Sprech– und Chansongesang. Fortner macht das ganz meisterlich, weil auf ganz selbstverständliche Art. Gleichzeitig kann er so jede der recht vielen Rollen ganz individuell zeichnen.
Das ergibt fraglos großes Theater - und genau so ist es in Wuppertal zu erleben. Mit einer punktgenauen, den Weg zur unausweichlich herannahenden Katastrophe klar zeichnenden Regie und einem riesigen Solistenaufgebot. Jedem von ihnen merkt man an, mit wie viel Konzentration und Freude sich der jeweiligen Aufgabe gewidmet wird. Allen voran natürlich die Mutter der großartigen Dalia Schaechter. Sie stellt sich der Riesenaufgabe, all die unendlichen Gefühlsnuancen dieser einsamen und verbitterten, zugleich aber hoffenden Frau zu offenbaren – und meistert sie bis zum bedrückenden Schlussmonolog perfekt. Neben ihr auch stark umjubelt Ingeborg Wolff als Tod in Gestalt einer zierlichen obdachlosen Frau. Ganz leise und dennoch mächtig: ihre Einflüsterungen von einem besseren Jenseits. Auch Banu Böke als Braut schuf echte Gefühle –ebenso wie der sehr ausdrucksstarke Thomas Laske als verliebter Macho Leonardo. In die Sprechrolle des Bräutigams legt Gregor Henze dessen ganze Zukunftshoffung, bis diese in blinde Rachsucht umschlägt. Stephan Ullrich ist ein stets betrunkener, aber liebevoller Vater der Braut. Mit seinem hellen Tenor taucht Martin Koch als Mond die Bühne in gleißendes Licht.
Miriam Ritter als Leonardos Frau macht ihre Sache prima – beeindruckend als Magd Joslyn Rechter. Cornelia Berger als frustrierte Schwiegermutter füllt ihre Rolle toll aus. Ganz stumm, aber voller Ausdruck: Verena Hierholzer als Dämon in Brautgestalt, der der Mutter auf die Seele drückt.
Ausgeglichen die kleinen Partien, die gesanglich und schauspielerisch den perfekten Abend vervollkommnen. Und dann das Orchester, dem Hilary Griffiths ein ganzes Feuerwerk an Farben entlockt. Selbst der Einsatz der Kastagnetten und Gitarren wirkt da niemals volkstümelnd. Die Wuppertaler Sinfoniker bringen die enorme Vielfalt, die Fortner in seiner Partitur anlegt, auf das Prächtigste zum Klingen.
Nach dem einstimmigen Jubel des Publikums steht fest: Hier ist eine fantastische Wiederentdeckung gelungen.