Bussi, schmatz! Brahms heiter bis wolkig
„Auf heitere Weise“ sollten laut Programmheft Martin Walsers neue Zwischentexte die einzelnen Lieder des Zyklus' Die schöne Magelone von Johannes Brahms verbinden. Das hätte einem eine Warnung sein sollen. Denn im Deutschen gibt es Adjektive, vor denen man die Flucht ergreifen sollte, wenn man sie trifft. „Nett“ etwa. „Heiter“ gehört zur selben verdächtigen Gruppe. „Heiter bis wolkiges“ Wetter ist nicht wirklich gut. Robert Lembkes „heiteres „Berufe-Raten“ zeichnete sich auch mehr durch gediegene Kauzigkeit denn durch originelle Kurzweil aus. Und in Bochums Schöner Magelone, der aktuellen Koproduktion von Prinz Regent Theater und Bochumer Symphoniker, hielt sich die annoncierte Heiterkeit in, sagen wir mal, überaus gepflegten Grenzen.
In der Schönen Magelone, einer Liebesgeschichte aus dem 16. Jahrhundert, verliebt sich Graf Peter Hals über Kopf in Prinzessin Magelone, flieht mit ihr, verliert sie aus den Augen und kann sie erst nach jahrelanger Odyssee heiraten. 1797 entwickelte Ludwig Tieck daraus eine Prosafassung, die er mit 15 Liedern für den Grafen Peter versah. Diese wiederum vertonte Brahms 1869 für Singstimme und Klavier. Im Prinz Regent Theater kommt nun eine verhältnismäßig neue Version zum Einsatz: In Bochum stammen die Zwischentexte von Martin Walser, das Klavier wird durch ein Kammerorchester ersetzt. Ein Sänger singt die Lieder, ein Schauspieler spricht die Zwischentexte. Klingt abwechslungsreich. Heraus kommt aber leider ein Theaterabend, der musikalisch wie inszenatorisch weder Fisch noch Fleisch ist.
Vieles an Sibylle Broll-Papes Inszenierung gefällt: Die Kreativität etwa, mit der mit den Requisiten auf der Bühne gespielt wird, sich ein Stuhl in ein Pferd oder Kahn verwandelt, aus einem Samtkleid mit Luftballon die schöne Magelone wird. Oder die Kamera-Animationen, die den Bühnenraum nach hinten einfallsreich erweitern. Doch bleibt der Zugriff auf die Geschichte seltsam diffus. Sollen wir es ernst nehmen, dieses alte Ritterspiel um die ewige Liebe, der weder Turnieren, überkochenden Emotionen und Entführungen etwas anhaben kann? Oder sollen wir, ironisch und altersweise wie Herr Walser, milde lächeln über diesen jungen Mann, der sich so blindlings verliebt? Mit großen, staunenden Augen lässt Sibylle Broll-Pape ihren Peter über die Bühne laufen, ein verliebter Narr, der ein wenig linkisch die Welt, die Frauen und die ersten nackten Brüste entdeckt. Dieser Ansatz schafft Distanz, die durch das ausladende, auktoriale Spiel von Stephan Ulrich noch verstärkt wird. Der Bariton Peter Schöne macht mit, stürzt sich mit Witz und Verve in seine Rolle. Aber er hat die 15 Brahms-Lieder an seiner Seite, die er singen muss. Und die sprechen eine ganz andere Sprache. Hier trifft Romantik auf leicht ungläubige Postmoderne und es sind Brahms’ stürmische, bewegende Lieder, die nicht in den Rahmen der Inszenierung passen wollen.
Musikalisch steht die Aufführung unter der Leitung von Harry Curtis. Er hat die undankbare Aufgabe, das Kammerorchester, das sich aus Mitgliedern der Bochumer Symphoniker zusammensetzt, und Peter Schönes Gesang zusammenzufügen. Und das ist bei der unglücklichen Kammerorchester-Fassung von Heribert Breuer schwierig bis unmöglich. Zehn Musiker mit neun unterschiedlichen Instrumenten sieht diese Version vor. Blitzschnell springen die Melodien von Instrument zu Instrument. Was Farbigkeit erreichen soll, bricht der Komposition das Genick: Sie fällt auseinander. Es flötet, geigt und bläst, aber ein homogenes Klangbild entsteht mit Breuers Orchesterfassung nicht. Schade, denn das Orchester spielt unter Harry Curtis durchweg souverän und mit feinem Schliff. Auch Peter Schöne, mit dem dem Prinz Regent Theater ein äußerst erfahrener Liedsänger zur Seite steht, führt seine Stimme stilsicher und gewohnt textverständlich. Aber Musik und Szene fügen sich nicht rund zusammen. Erst im allerletzten Lied, im „Treue Liebe dauert lang“, das nur mit Streicherklängen eingeleitet wird, spürt man, welche starke Intensität mit diesem Team hätte erreicht werden können, hätte man sich auf wenige Instrumente und eine schlankere Szenerie beschränkt. Unterm Strich: Kein vergeigter Abend, aber eben nicht das stärkste unter den Kooperationsprojekten zwischen Prinz Regent Theater und Bochumer Symphonikern.