Ausweg gesucht
Wie man mit einem relativ bescheidenen Einsatz von Mitteln große und wirkungsvolle Oper macht, zeigt Michael Schulz mit Dmitri Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk. Er sieht die Geschichte rund um die mit ihrer Ehe unzufriedenen Katerina Ismailowa zeitlos. Entsprechend nüchtern, ja neutral ist Dirk Beckers Bühne: weiße Wände, im Bedarfsfall mit Türen versehen, ein paar belaubte Bäume. Hier tummeln sich die Leute aus Katerinas Umfeld, dann formen sich die Wände zur Wohnung, in der Schwiegervater Sergej seine vergifteten Pilze goutiert; die nach hinten abgesenkte Decke mit kreisrundem Loch symbolisiert die gewonnene Freiheit unter dem grenzenlos offenen Himmel, der die Kulisse für Katerinas und Sergejs Liebesnacht abgibt. Zu diesem Zeitpunkt ist auch Katerinas Ehemann Sinowi schon im Jenseits und liegt unter der Badewanne begraben. Die ist ein hölzerner Zuber, der Katerina als Bett dient, aber auch als Ort für wilden, hemmungslosen Sex mit Sergej. Gerade die Sex-Szenen sind es, die Michael Schulz durch Übersteigerung wunderbar korrespondierend mit Schostakowitschs Musik zur Geltung bringt: Hier werden die Menschen auf reine Triebe reduziert dargestellt, denn für sie ist der Sex der einzige Fluchtpunkt aus einer harten, menschenverachtenden Realität.
Michael Schulz lenkt durch die Reduktion der Mittel den Fokus auf die Nöte und Konflikte der Protagonisten, lässt sich aber zugleich auch Momente von Groteske und Ironie als kräftige Würze seiner Inszenierung nicht entgehen. Da gibt es die wackeren Ordnungshüter, die für ihr Fitness-Training gern mal mit einer Stalin-Büste jonglieren. Oder die dümpeligen Polizisten mit ihrem angestrengten Chef. Oder der Pope, der auf der missglückten Hochzeit den Alleinunterhalter gibt. Und da ist die elfköpfige Blechbläser-Batterie, die mit grandiosem Fortissimo immer wieder zielgenau dramatische Entwicklungen unterstreicht – und in dieser Inszenierung ein wunderbares Gestaltungselement darstellt.
Am Ende sind Katerinas Träume ausgeträumt. Auf dem Gefangenenzug durch die Taiga wird alles Menschliche wieder auf den puren Kampf ums Dasein eingedampft und der Geliebte erweist sich als ebensolches Vieh wie der Ehemann und der Schwiegervater. Michael Schulz findet auch für dieses Ende ein wunderschönes Bild. Katerina erwürgt ihre Rivalin mit einem Seidenstrumpf, der während des ganzen Abends für sie ein Symbol für ein besseres Leben, aber auch für Liebe und Erotik war.
Auch musikalisch ist diese Produktion ganz ausgezeichnet. In Bestform befindet sich der Opernchor, der auch schauspielerisch den kleinen Charakteren ganz individuelle Züge gibt. Yamina Maamar in der Titelrolle changiert zwischen großer, echter Leidenschaft und kühler Berechnung. Renatus Mészár gibt dem Schwiegervater Boris herrische Statur – was ihn nicht davor schützt, kaltblütig umgebracht zu werden. Alexej Kosarev vom Oldenburgischen Staatstheater rettet als Einspringer die erste Repertoirevorstellung der Lady Macbeth und wirkt als Liebhaber Sergej, als sei er die Premierenbesetzung. Dass er – anders als das übrige Ensemble – russisch statt deutsch singt, unterstreicht, wie klangvoll die Originalsprache doch gegenüber der Übersetzung ist. Kosarevs heller, kräftiger Tenor passt haargenau zur Rolle. Arbeiter, Lehrer, Polizisten und all das übrige Bühnenpersonal: alles bestens besetzt und auf hohem darstellerischem Niveau!
Rasmus Baumann entwickelt mit der Neuen Philharmonie Westfalen einen unglaublichen orchestralen Sog, lässt Schostakowitschs Musik in einer ungeahnten Brillanz schillern, schimmern und funkeln. Das reicht von buchstäblich orgiastischer Gewalt bis hin zu zartesten Stimmungen wie in der Liebesnacht mit ihren Mahler-Anklängen. Ausgezeichnet!