Übrigens …

Anna Bolena im Köln, Oper

Desaster mit Donizetti

Diese Anna Bolena ist szenisch eine einzige Katastrophe, von der hölzernen Personenführung über die zahlreichen überflüssigen dekorativen Elemente bis hin zur Ausstattung. Das Ensemble trägt Edles im Stil des 19. Jahrhunderts, farbige Roben für die Damen, schwarze für die Choristinnen – auch die sehen teuer aus. Die Herren tragen Tweed, Freizeitanzug oder Operettenuniform mit englischem Touch. Dafür hängen im Treppenhaus Porträts der Hauptfiguren aus der Tudorzeit. Ist da etwa eine voltenhafte Annäherung in die Gegenwart beabsichtigt, ein feines Sichtbarmachen bürgerlicher Machtstrukturen und Bequemlichkeiten, ein Spiel auf mehreren Ebenen mit den Geschlechterrollen? Fehlanzeige. Leider.

Bei Imogen Kogge und Tobias Hoheisel gibt es „puren“ Donizetti, müde arrangiert, im angesprochenem Treppenhaus, einer Art Biedermeierkabinett auf der rechten Vorderbühne und einem eigenschaftslos-trutzigen weißen Kubus, der im oberen Teil aus einem durchleuchtbaren Gazeschleier besteht. Da wird, nie zu schnell, hin- und hergeschritten, man ringt die Hände und schlägt sie besonders gern vors Gesicht. Auf diese Weise werden die an sich interessanten Figuren, wird die eigentlich packende Dramatik des Stückes bis zur Unkenntlichkeit geglättet.

Auch musikalisch gab es in Köln viel Hochwertigeres in den letzten Jahren. Der immer wieder statisch zum Dekorationsobjekt degradierte Chor singt hervorragend. Gleiches gilt über sehr weite Strecken für das Gürzenich-Orchester. Alessandro de Marchi serviert namentlich im ersten Teil manche Klangdelikatesse. Allerdings stimmt im letzten Viertel die Tempobalance nicht mehr.

Olesya Golovneva ist den gewaltigen Anforderungen der Titelpartie gewachsen, bringt sie aber nicht immer zu voller Blüte. Vor allem szenisch wirkt sie gehemmt, nicht genug gefordert. Das gilt auch für Regina Richter, die ihre Rivalin Giovanna stilsicher gestaltet, allerdings lange etwas introvertiert bleibt und erst im großen Duett aus sich herausgeht. Gidon Saks ist ein sehr muskulöser, mal poltriger, mal mulmiger Heinrich VIII. Die Faszination, das besondere Charisma dieser Figur bleibt er schuldig zugunsten stimmlicher Prachtentfaltung. Luciano Botelho hat einen schönen Tenor mit einer Höhe, die sich am Premierenabend einfach nicht öffnen will. Daran, dass seine Figur, der leidenschaftliche Liebhaber, der unbeabsichtigt die Tragödie auslöst, hart an der Lächerlichkeit vorbeischrammt, kann er nichts. Katrin Wundsam singt den verliebten Pagen mit viel Klangfantasie und Natürlichkeit, Matias Tosi und Alexander Fedin ergänzen auf erstklassigem Niveau.

Es steht zu hoffen, dass diese Produktion ein einmaliger Ausrutscher ist. Die Kölner Oper hat in den letzten Jahren vielfach auf imposantem Niveau produziert. Aber die Rahmenbedingungen haben sich, wie bekannt, grundsätzlich geändert. Es ist nicht einfacher geworden. Es scheint an der Zeit, dass Intendantin Birgit Meyer, die Anna Bolena auch als Dramaturgin verantwortet, dramaturgische Ziele formuliert. Sie ist um ihren Job nicht zu beneiden, hat etwa ein Zeichen gesetzt mit der Verpflichtung von „La Fura dels Baus“ für den anstehenden Parsifal und einer vielfach dokumentierten Hinwendung zu jungen Publikumsschichten. Aber gerade die kann man durch Inszenierungen wie die vom konservativen Premierenpublikum heftig beklatschte Anna Bolena sehr leicht wieder verlieren.