Übrigens …

Das Geheimnis des Edwin Drood im Theater Münster

Mörderjagd in Cloisterham

Wer also war’s? Das ist die Frage, die wie ein Damoklesschwert über Charles Dickens‘ Das Geheimnis des Edwin Drood schwebt. Und da der Meister über der Fertigstellung seines Werks starb, musste sich Rupert Holmes für sein Musical etwas einfallen lassen. Er erzählt das Stück aus Sicht einer Theatertruppe, die die Geschichte spielt und – Not macht erfinderisch – das Publikum abstimmen lässt, wer der Mörder ist.

Theater auf dem Theater also - und das funktioniert bei dieser Kriminalgeschichte bestens. Karl Absenger inszeniert ebenso doppelbödig wie temporeich. Karin Fritz baut ihm dafür eine weitestgehend offene Bühne, die mit wenigen Requisiten oder Projektionen mal Friedhof, Kathedrale oder Opiumhöhle ist. Das Orchester sitzt im Bühnenhintergrund, der Graben ist überbaut. Das gibt viel Platz für Bewegung. Und diesen Platz nutzen Choreographin Teresa Rotemberg und die Akteure des TanzTheaterMünster mit viel Spaß am durchgeknallten Stück. Genauso engagiert ist der Opernchor und jeder Einzelne des Solistenensembles. Jeder zeichnet liebevoll und ebenso spiel- wie sangesfreudig seinen Charakter - und der ist meist ganz schön schräg: Da ist der eitle Prinzipal Gerhard Mohrs, die scheinbar naive Rose von Julia Lißel, der androgyne Edwin Roberta Valentinis und Peter Jahreis‘ so frommer Pfarrer.

Schillernd ist das asiatisch-britische Geschwisterpaar von Johanna Marx und Dennis Laubenthal. Herrlich exaltiert geben Axel Herrig den dämonischen Kantor und Chorleiter Jasper James und Suzanne McLeod die Opiumhändlerin Prinzessin Puffer. Diese werden schnell zu Publikumslieblingen. Wie man auch mit vermeintlich kleine Rollen das Publikum faszinieren kann, zeigen Tom Ohnerast als Steinmetzgehilfe und Axel Bereuter als sein ewig besoffener Chef. Herrlich bemitleidenswert ist Ilja Harjes als zu kurz gekommener Schauspieler und Stückeschreiber.

Absengers Edwin Drood ist ein wunderbar überdrehter, ausgelassener Musicalspaß. Bisweilen albern ist er auch – und das darf auch sein. Wunderbar ergänzen sich Schauspiel, Musiktheater und Tanz im Großen Haus und nehmen das Publikum mit auf eine ganz vielschichtige Reise in die Welt eines Charles Dickens.

Einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg leistet die Musik von Rupert Holmes. Sie ist beschwingt und in großen Teilen absolut ohrwurmverdächtig. Und sie ist eines: meilenweit entfernt vom Musicaleinheitsbrei eines Frank Wildhorn. Auch ist sie freizusprechen von jedwedem Verdacht der Verlloydwebberung.

Thorsten Schmid-Kapfenburg am Pult des Sinfonieorchesters Münster stellt die Qualität dieser Musik deutlich heraus und fordert deshalb zu Recht energisch rufend „enthusiastischen Beifall“ für seine Musiker.

Lassen wir ausnahmsweise dem Regisseur das Schlusswort über Holmes’ Musical: „Jetzt, nachdem ich mich intensiv damit beschäftigt habe, ist es für mich unbegreiflich, dass es bei uns derart unbekannt ist“. Recht hat der Mann! Seine formidable Inszenierung trägt hoffentlich dazu bei, Das Geheimnis des Edwin Drood auf den Spielplänen heimisch zu machen.