Viele offene Fragen
Nur nicht kleckern, sondern klotzen: Ein wenig mehr Erlösung darf’s schon sein. Und deshalb lässt Joachim Schloemer zum Ende des Parsifal Heerscharen von Statisten aufmarschieren, die alle den Gral berühren und beseelt von dannen schreiten. Nur einer hat das Nachsehen, nämlich Amfortas, der im Rahmen einer eher feindlichen Übernahme seines Amtes durch Parsifal von diesem ins Jenseits befördert wird – natürlich mit dem heiligen Speer. So sind am Ende nur fast alle glücklich.
Und Amfortas hat von Anfang an die Rolle des Bedauernswerten: Ist er doch gerade im ersten Aufzug eine Art Sisyphos. Dessen permanent aufbrechende Wunde wird das eine ums andere Mal vom Pflegepersonal einer Intensivstation versorgt, die Jens Kilian in einem gläsernen Container auf die Bühne stellt - vielleicht eine Anspielung auf Raum und Zeit. Kann sein, muss aber nicht. Und das ist das Manko an Schloemers Parsifal: er gibt einfach zu viele Rätsel auf! Viele Fragen, aber wenige Lösungen, die sich durch das Bühnengeschehen erschlössen. Da kommt man sich ganz schön allein gelassen vor.
Dabei gelingen Schloemer durchaus berückende Szenen. Der zweite, vom Tanz her gedachte Aufzug ist klar und deutlich. Kundry, doppelt von Sängerin und Tänzerin dargestellt, kann Parsifal gerade ob der Zerrissenheit ihrer Seele gefährlich umgarnen. Und sehr sinnfällig, dass der heilige Speer seinen derzeitigen Herrn Klingsor in Gestalt eines den Speer wirbelnden Akrobaten begleitet.
Hervorragend auch die Idee, den Chor ins Off zu versetzen. Jede Menge überflüssigen Pathos’ wird dadurch von Anfang an vermieden. Aber insgesamt bleibt die große Idee hinter der Inszenierung Schloemers verschlossen. Und Fragen häufen sich auf: Warum ist Gurnemanz eine Art Peter Frankenfeld der siebziger Jahre mit Moderationskarten? Warum sind zwei Herren auf der Bühne in Gehröcken des neunzehnten Jahrhunderts zu sehen? Und warum fallen im dritten Aufzug ständig Wäschestücke vom Himmel? Irgendetwas hat da zwischen Konzept und Vermittlung gehakt.
Aber es gibt auch wahre Glanzleistungen zu vermelden. Alexander Eberles Chor etwa ist gar nicht genug zu loben, evoziert er doch über viele Strecken hinweg Gänsehaut, wenn es etwa darum geht, die grenzenlose Sehnsucht nach Erlösung beredt werden zu lassen.
Stefan Soltesz, sechzehn Jahre lang Essener Intendant und GMD, hat den Parsifal sicher mit Bedacht für seine Abschiedspremiere gewählt. Er zeigt perfekt, wie Koordination zwischen Bühne und Graben sein sollte. Er dehnt die Partitur nicht, lässt sie aber absolut durchhörbar werden. Und gerade im Parsifal kommen Emotionen ja auch nicht zu kurz: das Vorspiel zum dritten Aufzug ließ den Atem stocken.
Sängerisch konnte dieser Parsifal überzeugen. Marcel Rosca – eine Art Fidel-Castro-Titurel – sang als Einspringer bombensicher. Jane Dutton als Kundry bleibt hinter ihren Kollegen zurück. Ihre Stimme besitzt noch nicht das notwendige Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten. Über das verfügt Heiko Trinsinger, der die Leiden des Amfortas mit Eindrücklichkeit beglaubigt. Eine Entdeckung ist Magne Fremmerlid: Sein Gurnemanz ist fast ein Evangelist Bachscher Passionen – mitleidend und doch kommentierend. Der Klingsor Almas Svilpas ist sehr böse, aber nicht dämonisch. Und der Parsifal? Jeffrey Dowd singt klug und gestaltet sehr differenziert. Das ist perfekt. Ihm fehlt lediglich etwas funkelnder Glanz in der Stimme.
Nach und nach gab es viele leere Plätze im Aalto-Theater, aber auch viel Begeisterung – gerade für die Essener Philharmoniker und ihren Chef.