Parsifal im Köln, Oper

Event hinterm Gaze-Vorhang

Und am Ende gibt es das angekündigte Gemeinschaftserlebnis. Hundert weißgewandete, mit Mundschutz und Kapuze versehene Statisten verteilen zur Gralsenthüllung Brotkörbe im Publikum. Aber von Anfang an: Immer, wenn Mitglieder der katalanischen Theateraktivisten La Fura dels Baus Oper machen, wird ein Großereignis geradezu erwartet. Und so musste auch Carlus Padrissa jetzt liefern. Und das tut er. Ständig ist was los auf der Bühne. Roland Olbeter baut ein metallenes Kugelsegment, das sich in vier Teile teilen lässt, die von schwarzgewandeten Herren in ständig neue Positionen befördert werden. Ihre Sprossen sind bevölkert von eben jenen hundert Statisten – Gralsritter vielleicht oder unerlöste Seelen. Gleich zu Beginn sehen wir Todesfälle auf die Bühne projiziert, unter anderem einen Unfall in der Formel Eins - Tote, die ihren Frieden finden wollen.

Einen Begriff in Wagners Libretto greift Padrissa immer wieder szenisch auf: das „Lebensbrot“. Gurnemanz backt es zu Beginn, dann gerät es Amfortas zur Kopfbedeckung gegen den Schmerz, am Schluss beherrscht der gewaltige Backofen einer Großbäckerei die Szene: Lebensbrot für Alle!

Ein weiterer Aspekt der Inszenierung ist Wagners Verhältnis zu Nietzsche. Das Regieteam bringt es auf die Bühne indem Nietzsche-Zitate auf dem Gaze-Vorhang, hinter dem meistens gespielt wird, erscheinen – und im Schnurrbart, der bei Nietzsche der gleiche ist wie bei Amfortas. Der wird vom gleichen Sänger wie Klingsor gesungen - beide leiden an ähnlichen Wunden. Dies ist eigentlich an diesem Parsifal auch der einzige Versuch, die Figuren auszudeuten. Jeder tiefer gehende Blick auf sie bleibt aus. Alles muss sich bei Padrissa dem großen, gesamten Bühnengeschehen unterordnen – Detailblicke sind im großen Atem des Events nicht opportun. Es soll ein Bühnenweihfestspiel sein, abseits von allen christlichen Aspekten – deshalb die aseptischen Kostüme von Chu Uroz. Und doch gleitet das Ganze am Ende ab in reichlich Kitsch, vielleicht sogar christlichen Kitsch: Parsifals leuchtende LED-Rüstung samt Krone ist nur ein Beispiel; Kundry verwandelt sich wie Danae in einen blühenden Busch. Ist das zutiefst symbolhaft?

Es gibt auch hübsche Momente – wenn etwa im Garten der Lüste die Blumenmädchen sich vor Bäumen räkeln, die in Origami-Manier gefaltet sind. Und dann scheinen plötzlich Nummern einer Sex-Hotline auf. Nett gemacht, aber insgesamt ist es erstaunlich bei diesem Parsifal: Ständig gibt es was zu sehen, aber mit zunehmender Dauer beginnt man innehaltende Momente zu vermissen, sich Reflexion statt Aktion zu wünschen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass dieser Parsifal-Performance viele gute Ideen zugrunde liegen, denen zu liebe aber eine durchgehende Regie-Idee geopfert wird.

Dem totalen Primat der Aktion wird nicht nur die Figurenausdeutung geopfert, sondern auch ein Stück weit die Musik. Da geht beispielsweise das engagierte Dirigat von Markus Stenz völlig unter, der mit dem Gürzenich-Orchester kluge Tempi wählt. Aber es ist seltsam: hinter all den Bildmassen verschwindet das Orchester.

Gesungen wird gut. Dalia Schaechter steigert sich als Kundry nach zögerlichem Beginn zu expressivem Singen. Boaz Daniel ist sowohl Amfortas als auch Klingsor, beide Rollen meister er mit ebenmäßigem Bariton. Marco Jentzsch ist ein ordentlich singender Parsifal, wenngleich seinem Tenor ein wenig mehr goldener Glanz gerade für diese Partie gut anstände. Und Gurnemanz? Altmeister Matti Salminen beweist große Bühnenpräsenz, deklamatorische Textverständlichkeit und drückt darstellerisch einer Inszenierung, die die Charaktere weitgehend links liegen lässt, seinen Stempel auf. Aber auch für die Stimmen gilt, was über das Orchester schon angemerkt wurde: ihre Wirkung geht unter auf einer Bühne voller Betriebsamkeit.

Toll und raumgreifend singen schließlich Chor und Extrachor der Oper Köln, einstudiert von Andrew Ollivant. Diese Hundertschaft wird zum Teil des abschließenden „Wir–Teilen-das-Brot“-Happenings. Großer Applaus und beseelte Gesichter.