Bewältigtes Monstrum
Es schmettert, dröhnt und dräut. Fortgesetzt, ohne Unterlass. Mit dem Rienzi wollte Wagner unbedingt den internationalen Durchbruch schaffen. Alles, was er an dramatischer Energie, an melodischen und instrumentalen Effekten zur Verfügung hatte, hat er hineingetan. Nicht nur dieses unerbittlich laute Vorwärtsdrängen und die Überlänge halten diese Monstrosität in der Regel von der Bühne fern. Das Stück ist zusätzlich belastet durch die Tatsache Hitlers Lieblingsoper gewesen zu sein und hat einen strahlend gedachten Titelhelden, der aus heutiger Sicht einfach keiner mehr sein kann.
Diese aktuelle Perspektive betont Matthias Oldag ostentativ während des ganzen, dankenswerterweise auf zweieinhalb Stunden Spielzeit herunter gekürzten Abends. Über weite Strecken erfolgreich legt der Regisseur Machtmechanismen bloß, zeigt Rienzi als idealistischen Fanatiker, der letztlich an der eigenen Selbstherrlichkeit und Eitelkeit zugrunde geht. Überzeichnung, Stilisierung, Distanzierung sind die entscheidenden Stilmittel. Thomas Grubers schiefe Ebene mit dem blutroten Graben in der Mitte ist mit demagogischen Aussprüchen bedeckt .Rienzis Weg wird begleitet von Bild- und Schriftmaterial aus der Jetzt-Zeit: Krieg, Zerstörung, Machtmenschen. Als er an die Macht kommt, entsteht fast ein Rienzi-Kult im Volk. Man trägt goldenen Schal und ein Emblem mit einem großen „R“. Der Staatsakt im zweiten Akt gelingt als perfekte Travestie samt Streichquartett und scheinbar besinnlicher Chordarbietung: Alibi-Kultur für Machtmenschen. Den Schluss deutet Oldag um: Rienzi wird einfach wahnsinnig. Sein Gebet ist keine Äußerung irgendwelcher „Größe“ sondern Zeugnis der geistigen und seelischen Zerrüttung eines Menschen, der über sich hinausgegangen ist. Dagegen montiert Oldag geschickt das Melodram: die abgrundtiefe, jugendliche Verwirrung des adeligen Adriano, der zwischen seiner Liebe zu Rienzis Schwester Irene und der Loyalität zu seinem Rienzi bekämpfenden Vater hin- und hergerissen wird.
Die inszenatorische Methode funktioniert fast durchgehend. Die deutlich akzentuierten, manchmal mit treffendem Humor versetzten theatralischen Vorgänge halten der martialischen Musik stand.
Mihkel Kütson und die Niederrheinischen Sinfoniker leisten Fantastisches. Sie beginnen mit einer mutwillig zerrupften, von jeder Wunschkonzertherrlichkeit entfernten Ouvertüre. Beunruhigende Unterstimmen dringen wie Nebel durch Ritzen und pflanzen sich fort, treiben manchmal sogar einen kleinen Widerhaken in den unerbittlichen dramatischen Drive. Kütson weckt Interesse für den melodischen Reichtum der Partitur und versucht auch im rauschhaftesten Strahlen die Architektur des Klanges vorzuzeigen. Dazu kommt der von Maria Benyumova grandios einstudierte Chor, der einem zwar gelegentlich, zumal im Schlussbild, wo er durch den Zuschauerraum auftritt, die Trommelfelle wegbrüllt, dabei aber immer musikalisch differenziert und artikulatorisch sauber gestaltet. Walter Planté, Thomas Peter und Matthias Wippich sind tadellos in den kleinen Rollen, spielen kompetent, haben aber von Wagner nicht eben viele Ausdrucksmöglichkeiten mitbekommen. Als Häupter der Adelspartei profilieren sich der mürrische Hayk Dèinian und Andrew Nolen als herrlich überzogener Mafioso-Strizzi, der seine Orden wie Modeschmuck spazieren führt. Die junge Anne Preuß singt die Irene rollendeckend mit angenehm leuchtendem Sopran, der in der Höhe unter Druck ein wenig schrill wird. Adriano ist Eva-Maria Günschmann, mit jugendlichem, fast keuschem Spiel und ebensolchem, oft aufblühendem, manchmal zu stark vibrierendem Mezzosopran. Carsten Süß schließlich ist ein fantastischer Darsteller - und ganz und gar kein Heldentenor. Aber er schafft die Partie mit flexiblem Charaktertenor, subtiler Textbehandlung und wenigen, stets gut fokussierten Ausbrüchen.
Der Mut des Gemeinschaftstheaters, als einzige deutsche Bühne im Wagnerjahr einen szenischen Rienzi zu wagen, hat sich auf jeden Fall gelohnt. Am Ende ist man froh, dabei gewesen zu sein – und ein wenig auch, dass es vorbei ist.