Übrigens …

Neues vom Tage im Theater Münster

Die Sucht nach Sensation

Da reibt man sich verwundert die Augen: Paul Hindemiths Oper Neues vom Tage wurde im Jahre 1929 uraufgeführt - und ist doch so was von aktuell! Erzählt wird vom einander entfremdeten Paar Laura und Eduard, dessen Scheidungsprozess durch abstruse Umstände von der Boulevardpresse ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wird: Laura wird mit dem eigens gemieteten Scheidungsgrund, dem schönen Herrn Hermann, vom gesamten Hotelpersonal zu zweit im Bad erwischt. Der Gatte dagegen will einen vermeintlichen Rivalen töten und erlegt - welch’ Kuriosum – ausgerechnet eine wertvolle Venus-Statue in einem Museum. Nun sind sie beide öffentlich blamiert, dabei aber immer noch nicht geschieden und zu allem Überfluss durch finanzielle Ansprüch nach Zerstörung der Venus auch noch hoch verschuldet. Das nutzen gewiefte Manager eines der damals in Berlin in ungeheurer Zahl existierenden Revue-Clubs aus: Abend für Abend erzählen jetzt Laura und Eduard öffentlich auf der Bühne die Geschichte ihrer Scheidung – und kommen sich dabei wieder näher. Doch als sie aus diesem Öffentlichkeitsrummel aussteigen wollen, um ein neues gemeinsames Leben zu beginnen, machen ihnen Presse und Publikum drastisch und deutlich klar: Laura und Eduard haben sich ein für alle Mal der Öffentlichkeit überantwortet und kein Recht mehr auf ein eigenes Leben, haben sisyphosgleich ihr Leben weiter auf der Bühne auszubreiten.

Welch ein herrliches Stück! Mögen heute auch die Medien andere sein: Die Paparazzi und Voyeure sind die gleichen. Und so ist Neues vom Tage immer noch eine wunderbare Satire über die Boulevardpresse und das Radio, ein Stück, das seine Wirkung vor allem natürlich dann entfaltet, wenn es auf so hohem Niveau gegeben wird wie es Ansgar Weigner und sein Team an den Tag legen - witzig und geistvoll. Auf einer wohltuend klar strukturierten, hellen Bühne werden erst einmal Neuigkeiten des Jahres 1929 projiziert – echte und eben auch boulevardesk aufgebauschte und frei erfundende. Im Hintergrund ist Weiß die vorherrschende Farbe, während die Requisiten dunkel sind. Christian Floeren schafft so eine angenehme, ruhige Atmosphäre für das teilweise quirlige Bühnengeschehen, während Anke Drewes mit ihren bunten Kostümen farbige Tupfer setzt – das Orange von Eduards Knickerbockern etwa ist ein wirklicher Hingucker.

Ansgar Weigner unterstreicht den revueartigen Charakter der Oper. Auf der Drehbühne erfolgen schnelle Szenenwechsel, die viele verschiedene einzelne Sequenzen zur einem farbigen Kaleidoskop verbinden. Und immer wieder zwischendurch komische, ja lustige und hintersinnige Regie-Einfälle wie die drei Manager, die Eduard mit Gold, Weihrauch und Myrrhe anbeten, als sei er der neugeborene Messias. Ansgar Weigners Inszenierung korrespondiert ganz eng mit Hindemiths so unglaublich faszinierend vielfältiger und funkelnder Musik. Diese strotzt nur so von Einfallsreichtum, aber auch von Anspielungen auf Stile. Wagner und Strauss werden zitiert, wenn es um „große Gefühle“ geht. Das Ganze ist ein äußerst komplexes Werk, das absolut kompetenter Interpreten bedarf. Und die sind in Münster vorhanden.

Star dieser Inszenierung ist ganz eindeutig Dirigent Hendrik Vestmann. Wie er die Musiker des Sinfonieorchesters zu Höchstleistungen anstachelt und zugleich ein perfektes Miteinander zwischen Graben und Bühne hinbekommt, ist schlichtweg phänomenal. Dirigent und Orchester schultern die erheblichen Schwierigkeiten der Partitur mit bemerkenswerter Präzision und Spiellust, Vestmann lotet dabei alle Feinheiten aus und macht sie dem Publikum nachvollziehbar. Es ist Vestmanns letzte Premiere im Theater Münster: er wird im September 2013 Chefdirigent der Oper Bonn.

Ein großes Lob gilt dem Chor, den Inna Batyuk prima vorbereitet hat und allen Sängern der kleinen Partien, die zu dem großartigen Gesamtbild dieser Produktion beitragen. Das tun auch Henrike Jacob als etwas überspannte Laura und - wunderbar beleidigt – Gregor Dalal als Eduard. Ebenso stimmschön singen Lisa Wedekind und Fritz Steinbacher das Ehepaar M. Furchterregend lässt Lukas Schmid seinen Bass als bürokratischer Standesbeamter ertönen. Was Tilmann Unger schließlich mit seinem Tenor anstellt um die höllische Partie des Herrn Hermann bis hinauf in höchste Höhen zu bewältigen, ist durch und durch bewundernswert.

Neues vom Tage in Münster: was für eine Entdeckung - und welch eine Sternstunde für die Musiktheater-Sparte an diesem Haus.