Übrigens …

Simone Boccanegra im Aachen, Theater

Klar und schmerzhaft

Simone Boccanegra ist ein düsteres Stück, die Tragödie zweier Väter in einer mutterlosen Welt. In kargen Bildern erzählt Nadja Loschky diese Geschichte in Aachen mit faszinierender Intensität und nahezu perfekter Chor- und Personenführung. Sie nimmt die krude, an Intrigen und Zufällen reiche Handlung ernst, findet einfache, aber nie platte Bilder. Zusammen mit Meeresrauschen und Möwenschreien, die in den Umbaupausen vom Band zugespielt werden, werden die meergrauen Wände von Gabriele Jaenecke zur virtuellen Projektionsfläche für die Zukunftshoffnungen der Protagonisten auf Frieden, Liebe, Versöhnung und immer wieder Rache. Nichts hiervon trifft ein. Die Regisseurin teilt Verdis Pessimismus und verweigert ihren Figuren, abgesehen vom Liebespaar, jeden positiven Körperkontakt.

Glasklar stellt Loschky die Vorgeschichte im Prolog hin. Die Liebenden werden getrennt, die Frau stirbt, ihr Vater wütet und verzweifelt, ihr Geliebter verzweifelt – und wird Doge. Gesteuert hat das Paolo, der vom Ehrgeiz Zerfressene. Immer wieder bringen seine Intrigen Zündstoff in die privaten Tragödien der beiden wie in der Zeit gefangenen Väter. Die 25 Jahre Distanz zwischen Prolog und Haupthandlung überwindet die Inszenierung mit acht Takten Musik. Nichts hat sich geändert. Die Haare sind grauer geworden und die Tochter der Liebenden von einst ist jetzt eine Frau: der neue Zankapfel. Als sich Vater und Tochter wiederfinden, begibt sich einer der unerhörtesten Momente in Verdis Opernschaffen, eine kurze, rauschhafte Orchester-Eruption von ungeheuren Ausmaßen, gekrönt mit einem Nachspiel der Soloharfe, die sonst bei Verdi nur den Liebenden vorbehalten ist.

GMD Kazem Abdullah malt dieses Detail liebevoll aus wie viele, musiziert mit seinem Sinfonieorchester frisch und lebendig, ohne die unendlich vielen düsteren Farben dieser fantastischen Partitur zu vernachlässigen. Und – durchaus eine Überraschung – Aachen hat Sänger, um diese Musik zum Klingen zu bringen. Mächtig trumpft da Hrólfur Saemundsson als Intrigant Paolo auf, unforciert mädchenhaft, aber ohne jeden Anklang von Naivität, zeichnet Irina Popova die Amelia. Drei Gäste leistet sich das Haus zum Verdi-Jahr. Alexey Sayapin, technisch und darstellerisch noch ein wenig ungeschliffen, lässt mit bildschönem Tenor und eleganter Phrasierung aufhorchen, Ulrich Schneider zeichnet den Fiesco stimmlich und darstellerisch mit fast psychopathischer Intensität und Tito You ist in der Titelrolle schlichtweg überragend, im gebieterischen Forte wie im klaren, vor Intensität berstenden Piano und in seiner außergewöhnlichen Bühnenpräsenz. Auch der deutlich verstärkte Chor wächst, zumal in der kleinteilig und spannend choreographierten Ratsszene, über sich hinaus.

Die Aufführung ist ein leidenschaftliches Plädoyer für ein großes, (zu) selten gespieltes Stück.