Anna Nicole im Dortmund, Oper

Kleine Dramen, große Brüste

Über Anna Nicole Smith zu sprechen, zu schreiben, ihr Leben zu dramatisieren oder es, wie der britische Komponist Mark-Anthony Turnage, in musiktheatralische Form zu gießen, heißt immer auch, auf die Vita von Marilyn Monroe zu blicken. Zu ähnlich lesen sich die „Karrieren“ beider Frauen, ihr Aufstieg aus prekären Verhältnissen, damit verbundener Glanz und Ruhm und Reichtum, zuletzt der tragische Absturz in eine Hölle, wo Alkohol, Drogen, Psychopharmaka und andere Pillen die Betriebstemperatur vorgeben.

Das stärkste Argument aber dafür, hier zwei Schicksale gewissermaßen parallel zu betrachten, liegt im Bekenntnis Anna Nicole Smiths, die Monroe als jene Ikone zu verehren, die sie ohne Zweifel war. Damit nicht genug: Die junge Schwärmerin kleidete sich wie Marilyn und strebte deren Figur an – Smith ließ sich entsprechend die Brüste vergrößern. Und natürlich wollte sie eine ähnliche Berühmtheit erlangen wie ihr Idol. Wie sich die Bilder doch (schrecklich) gleichen: Beide jobbten als kleine Angestellte, wurden Fotomodell, fanden zum Film, heirateten mehr als einmal. Am Ende fraß der ganze Wahn des Berühmtseins seine Kinder. Monroe und Smith – zwei Sexsymbole Amerikas, ein Stück vom großen Kuchen erhaschend, doch kaum etwas vom großen Glück.

Wenn also Mark-Anthony Turnages Anna Nicole beginnt, verweist das Libretto (Richard Thomas) zuerst auf diesen Monroe-Bezug. Und wenn dann das szenische Geschehen ins Rollen kommt, zeigt die Dortmunder Oper in der Regie Jens-Daniel Herzogs eine eher knapp bekleidete, sich räkelnde, wasserstoffblondierte Titelheldin, die uns ein I want to blow you all a kiss entgegen haucht – wer wollte da nicht an den berühmten Monroe-Song I wanna be loved by you denken. Doch damit hat es sich auch schon. Es ist offenbar nicht die Absicht des Stückes, der Inszenierung, den „Star“ Anna Nicole Smith als Gegenpol zum Mythos Marilyn Monroe zu verorten. Vielmehr konzentrieren sich Turnage, Herzog und Ausstatter Frank Hänig ganz darauf, in sechzehn Szenen Stationen aus dem Leben eines Sexsymbols zu spiegeln.

Dabei geht’s in Bild und Text drastisch zur Sache. Eine Liste nicht jugendfreier Worte würde ellenlange Dimensionen annehmen. Laszive Damen im Rotlichtmilieu betanzen einsame Herren. Zeitweise bestimmen Brüste die Szene, deren Beschreibung als üppig eine glatte Untertreibung wäre. Ja, diese Attribute bilden den eigentlichen Mittelpunkt von Anna Nicole. Bei Turnage sind die Implantate der Schlüssel zum Erfolg. Anna angelt sich mit der „Supersize“-Ausstattung einen Milliardär und damit das große Geld und (scheinbares) Glück. Dass die Masse (der Chor mit oratorienhafter Wucht) danach voyeuristisch giert, ist kein Wunder – im Übrigen spiegelt sich darin teils lustvolles Glucksen des Publikums.

Andere mögen darob empört sein, doch Turnages Werk und Herzogs Regie bieten mehr als zwielichtiges Augenfutter. Anna Nicoles Aufstieg und Fall dient einer (wohlfeilen) Kritik am American Dream, teils in wirkmächtige Bilder umgesetzt. Das texanische Milieu ihrer Kindheit, eilends mit ein paar auf die großdimensionierte Bühne geschleppten Kakteen illustriert, darf sich noch putzig nennen. Doch wenn die vitale junge Frau ihren greisen Verehrer, eben jenen notgeilen, sabbernden, zitternden Milliardär aus dem Rollstuhl hievt, weil er mit ihr tanzen möchte, was einem erbärmlichen, verzweifeltem Ringen gleichkommt, weil der Alte jeden Moment hinzufallen droht, dann bekommen wir eine Ahnung davon, welche Dramen sich hier im Kleinen vollziehen. Es ist im Übrigen eine glanzvolle darstellerische Leistung von Hannes Brock, wie auch Emily Newton in der Titelrolle eine gute Schauspielerin ist.

Und wenn Annas Mutter, eine Polizistin (Katharina Peetz), machtlos verzweifelt zusieht, wie sich ihre Tochter ins Unglück stürzt, wenn sie den dubiosen Anwalt Howard Stern (Morgan Moody) beschuldigt, Annas Tablettensucht zu verantworten, fragen wir uns, wer denn eigentlich keine Schuld trägt im Gefüge von Macht, Geld und Promiwahn.

Starker Text, charakterstarke Darsteller. Und die Musik, die orchestralen wie sängerischen Leistungen? Die Betrachtung dessen stellt sich weitaus komplizierter dar. Turnage mag einst in Tanglewood mit Hans Werner Henze gearbeitet haben, den avantgardistischen Ton gibt er mit Anna Nicole nicht an. Das Stück ein Musical zu nennen, trifft es wohl am ehesten, es hat Showelemente, ohne einer 08/15-Nummernrevue (was heute so Musical heißt) gleichzukommen. Die Partitur ist derart stringent durchkomponiert, dass die Szenen nur so dahinfliegen. Kaum ein Atemholen, lyrische wie dramatische Elemente haben es schwer, sich vom dauerhaften Fließen abzusetzen.

Jazzidiomatik, Tänzerisches, ein wenig Big-Band-Sound und ein Hauch Gershwin klingen durch, der Gesang ist überwiegend dem Parlando verpflichtet, alles zumeist in großer Lautstärke. Wie weit also die Stimmen ohne Mikroport reichen würden, wie farbenreich sie klängen, ist hier nicht zu erörtern, da dies ins Reich der Spekulationen führt. Die Dortmunder Philharmoniker wiederum unter der äußerst engagierten Leitung Jac van Steens spielen kraftvoll auf. Von möglichen Feinheiten der Instrumentierung ist allerdings wenig zu hören.