Übrigens …

Selma Jezková im Theater Hagen

Um des Sohnes willen

In den letzten Jahren hat das Theater Hagen immer wieder interessante amerikanische Opern ausgegraben – zuletzt äußerst erfolgreich Carlisle Flyods Susannah. In dieser Saison gibt es die deutsche Erstaufführung der Oper des dänischen Komponisten Poul Ruders, Jahrgang 1949. Der schrieb Selma Jezková nach Lars von Triers Dancer in the Dark. Keine amerikanische Oper in Hagen also - aber ein durch und durch amerikanisches Thema, hofft die tschechische Immigrantin Selma doch, genügend Geld zu verdienen, um ihrem Sohn die notwendige Augenoperation zu ermöglichen. Dieses Ziel verfolgt sie mit allen Konsequenzen, wird zur Mörderin und lässt sich letztendlich lieber hinrichten, als das ersparte Geld für einen guten Anwalt auszugeben.

Ruders Oper in fünf Szenen ist musikalisch ein bunter Stilmix mit Anklängen an Puccini, Verdi und etwas Strawinsky, enthält viele Folk-Elemente und neben sehr lyrischen Passagen auch schroffe, schlagzeugbetonte Stellen. Insgesamt sehr gut konsumierbare Klänge.

Regisseur Gregor Horres und sein Ausstatter Jan Bammes machen das Beste aus einem Stoff, der eher handlungsarm ist. Als Bühnenelemente bestimmen zwei große drehbare und ansteigende Halbkreise die Szene. Sie sind wie Laufstege begehbar und stellen abwechselnd die Zirkusmanege, in die Selma ihren Vater hineinträumt, den Gerichtssaal und die hermetischen Gefängnismauern dar.

Durch das Kreisen der Bühnenelemente wird Bewegung geschaffen und Horres ordnet das Personal immer wieder so an, dass der Fortgang der Handlung gewährleistet bleibt. Hierzu nutzt er eine Schar maskierter Statisten ganz hervorragend, die mit unbeweglichen Gesichtern mal Arbeitskollegen, mal die Geschworenen bei Gericht sind.

Aber dennoch: selbst der mit siebzig Minuten sehr kurze Opernabend hat Längen. So gerät die Gerichtsszene einfach überdimensional lang – der Staatsanwalt hat inhaltlich einfach nicht genug zu sagen und wiederholt seine Anwürfe das eine oder andere Mal zu oft.

Dass die Hinrichtungsszene eine schmale Gratwanderung zwischen Rührung und Kitsch vollführt, ist nicht schlimm, besonders dann nicht, wenn sie von zwei so hervorragenden Solistinnen wie Dagmar Hesse und Kristine Larissa Funkhauser gestaltet wird. Funkhauser als Freundin Kathy legt viel Mitleid in ihren Mezzosopran, den sie tröstend, anteilnehmend unglaublich warm verströmen lässt. Und was Dagmar Hesse an Zwischentönen in der Charakterdarstellung der Selma Jezková aufbietet ist toll – von der Gewissheit, das Richtige für ihren Sohn zu tun, bis zur totalen Angst vor dem Galgen. All diese Nuancen beglaubigt Hesse voll und ganz.

Raymond Ayers als Bill singt ganz fantastisch die Rolle eines Mannes, der soweit herabgesunken ist, dass er seiner Mieterin ihre Ersparnisse stehlen will. Ayers’ Duett mit Dagmar Hesse ist einer, wenn nicht der absolute musikalische Höhepunkt. Bernd Könnes dagegen legt seinen Staatsanwalt sehr eindimensional an. Das wirkt auf die Dauer etwas ermüdend. Die kleineren Rollen sind – wie immer in Hagen – sehr gut besetzt, wobei Rena Kleifeld als Gefängnisaufseherin Brenda mit ihrem warmen Alt auffällt.

David Marlow leitet das Philharmonische Orchester Hagen und bringt die farbigen Seiten von Ruders Partitur zum Glänzen. Zu Beginn werden die Sänger ein klein wenig zugedeckt – das ändert sich aber sehr schnell.

Viel Applaus vom Premierenpublikum – ganz besonders für Dagmar Hesse.