Übrigens …

Der Wildschütz im Theater Hagen

I.Dyll

Grüner Wald muss ja nun schon vorkommen in Lortzings bekanntester Oper Der Wildschütz; aber anstatt lebensgroß auf der Hinterbühne baumelten zahlreiche grüne Duftbäumchen an einer Schnur quer unter der Decke der Kneipe "Zur Stimme der Natur" von "Inhaber I. Dyll". Da fragt sich der aufmerksame Beobachter, ob dies nur Kosten spart, oder etwa ein Hinweis auf das Bäumchen-wechsel-dich-Spiel vier Meter tiefer sein soll, vielleicht gar bedeuten soll, dass Muff und Mief, Standesdünkel und Doppelmoral alter Zeit gründlich ausgetrieben werden sollen.

Letzteres war mitnichten erforderlich; zu erleben war eine prall inszenierte "Beziehungskiste" bzw. der Versuch der Protagonisten mit Witz und Schwung in bunter vielschichtiger Bühne und Ausstattung. Und dass solcherlei komplizierte Beziehungen der Akteure untereinander in jeder Zeit passen und auch heute noch aktuell sind, zeigten Regisseurin Annette Wolf und ihre Ausstatterin Lena Bexendorf nachdrücklich nicht nur an einem Kostüm-Mix aus Altertum mit köstlichem Outfit der gräcophilen Gräfin, Biedermeier und moderner Sportkleidung, sondern auch an einer Fülle origineller Details. Videokameras bewachen das fast futuristische Anwesen des Grafen, seine Frau vermag mit einer Fernsteuerung ihre geliebten klassischen und allzu menschlichen griechischen Statuen zu bewegen, in der Kneipe gibt es den – heute leider obligatorischen - Fernseher mit BVB-Fußball und quäkendem Spielautomaten, der sogar eine Arie unterbrechen darf. 3-D-Brillen gaukeln den Hochzeitsgästen Schneewittchen und die sieben Zwerge vor. Kompliziert ist die Geschichte ja eh genug, wenn da nicht die wundervolle Grafik „Irrungen und Wirrungen in Eberbach“ im Programmheft weitergeholfen hätte.

Auch in der Personenführung gab es viel Spielwitz, Heiterkeit und Temporeichtum, ein deutsches Pendant zu den damals viel gespielten italienischen und französischen Buffo-Opern. Wolf verstand es, Plattitüden und Banalitäten zu Gunsten einer heiteren, nicht aufgesetzten Grundstimmung zu vermeiden. Wenngleich drei Stunden für den Stoff schon recht lang sind; einige Striche vor allem im etwas zähen ersten Akt wären hilfreich gewesen. Aber das gut gefüllte Haus hatte auf jeden Fall viel Vergnügen am Dünkel des Adels, wie häufiger Zwischenapplaus und zahlreiche Lacher auf offener Szene zeigten; noch mehr Spaß am Geschehen hätte man – trotz guter Textverständlichkeit – mit Übertiteln gehabt, die auf vielen Bühnen auch bei deutschen Opern inzwischen Standard sind.

Bis auf ein paar kleine Ungenauigkeiten erwies sich der Chor des Theaters Hagen (Wolfgang Müller-Salow) als untadelig und spielstark. GMD Florian Ludwig zauberte temporeich einen munteren, abwechslungsreichen und vielfarbigen Orchesterklang, unterstützt von einer hervorragenden Bläsergruppe, in der insbesondere die klangschönen und sauberen Hörner zu erwähnen sind. Auch die Synchronisation mit der Bühne bezüglich Einsätze und Dynamik klappte hervorragend.

So konnten auch die Sänger ihre Trümpfe am Abend sicher geführt und ungehemmt ausspielen, allen voran der Publikumsliebling Rainer Zaun als Schulmeister Baculus. Nach eher verhaltenem Beginn steigerte er sich zu einer herrlichen, aber nicht übertriebenen Karikatur des braven Bürgers, verliebt in sein für ihn viel zu junges Gretchen (Tanja Schun mit sehr hübschem ausdrucksvollem Sopran); viel Applaus für seinen wunderbar strömenden Bariton in seiner großen Arie „Fünftausend Taler“, Bestechungsgeld für die Überlassung seiner Braut. Ihm gleich zog Marilyn Bennett als Gräfin nicht nur mit einer Super-Figur und auf atemberaubend hohen goldenen Hacken, sondern auch mit köstlichem Pathos und markantem, sicherem Mezzo.

Auch die übrigen Akteure konnten sich ausnahmslos gut sehen und hören lassen: Raymond Ayers als Graf von Ebersbach mit klangschönem Bariton, rollengerecht und stimmlich überzeugend Jaclyn Bermudez und Britta Strege als Baronin von Freimann und ihre Zofe Nannette, kauzig und knorrig Werner Hahn als Pankrazius. Kompliment auch an den agilen Kinderchor und die Ballettratten.

Es ist immer wieder erfreulich, auch auf kleineren Bühnen solche sehr achtbaren Produktionen zu erleben, wo mit eigenem homogenen Team und knappem Etat solche Leistungen gestemmt werden. Zum Opernspaß müssen es nicht immer die großen Häuser sein, auch wenn diese gerade in Nordrhein-Westfalen alle recht dicht beieinander liegen. Daher: Auf nach Hagen! Und entspannt einen rundum erfreulichen Wildschütz erleben; es lohnt sich allemal.