Gefangen im Gedankenkosmos
Weltliteratur, Grundstein der Gattung Roman, eine Narretei mit parodistischem Einschlag, ein Stück Utopia oder eine fantastische Erzählung, nicht ohne surrealistische Note: Miguel de Cervantes Saavedras Don Quixote von La Mancha ist all dies und bis heute ein unerschöpflicher Kosmos, der zu immer neuen Deutungen herausfordert. Der Ritter von der traurigen Gestalt hat als Begriff längst ein Eigenleben entwickelt wie auch der berühmte Kampf gegen Windmühlen.
Damit nicht genug: Dieses Buch der Bücher (das ist es wohl zumindest für die Spanier) hat über die Jahrhunderte unzählige Literaten, Komponisten, Filmemacher, Maler und selbst Comiczeichner angeregt, sich mit dem Stoff auseinanderzusetzen. Die Liste der Musikdramatiker reicht dabei von Conti und Telemann über Mendelssohn und Mercadante, hin zu de Falla und Halffter. Darunter der Vertreter der französischen Romantik, Jules Massenet.
Allen Werken ist mehr oder weniger gemeinsam, dass sie kaum bekannt oder selten aufgeführt werden. Das gilt auch für Massenets Don Quichotte, eine „Heroische Komödie“, wie er die Oper nannte, eine Spielplanrarität abseits der lyrischen Dramen Manon und Werther. Das mag nicht zuletzt etwas mit der Besetzung zu tun haben: einen feurigen, schmachtenden Tenor sucht man im Don Quichotte ebenso vergebens wie eine in engelsgleichen Höhen flötende Sopranistin. Nein, Massenets fünfaktige Heldenoper ist von herberer Art. Bass (Quichotte), Bariton (Sancho Pansa) und Mezzosopran (Dulcinée) geben den dunklen Tonfall vor in dieser musikalischen Mischung aus Mut, Milde und Melancholie. Doch die Mixtur erweist sich als durchaus suggestiv: klangfarbensatte Orchestereffekte, samtene Holzbläserlyrik und ein Schuss spanisches Kolorit zeigen den Komponisten als Meister seines Fachs.
Insofern ist es der Wuppertaler Oper hoch anzurechnen, dass sie den Don Quichotte herausgebracht hat. Wenn auch der Regie von Jakob Peters-Messer die scharfe Zeichnung der Figuren fehlt, wie der Szenerie insgesamt oft die dramatische Zuspitzung. Die Handlung um den edlen Ritter und seinen buffonesken Diener, die gegen Windmühlen kämpfen und einer Diebesbande jenes Collier abjagen wollen, das der schönen Dulcinée gehört, in die sich Quichotte vernarrt-leidenschaftlich verliebt hat, wirkt mitunter zu statisch. Die Bekehrung der Räuber durch Quichottes Gebet wiederum als parsifaleske Gralszeremonie zu zeigen, ist nicht frei von Kitsch. Eher punktet Peters-Messer mit der Komik des plumpen Sancho Pansa.
Ihr Gewicht bekommt die Aufführung aber nicht zuletzt durch Bühnenbild und Kostüme des Ausstatters Markus Meyer. Fein die Idee, das Geschehen oft in ein milchiges Grau zu tauchen, als Sinnbild des Fantastischen. Den Raum, den er dabei umbaut hat, ist von länglicher Enge: Don Quichotte mag allerlei Abenteuer bestehen, er ist doch in seiner Welt gefangen. Das spanische Kolorit wiederum, das auch die Musik bisweilen heraufbeschwört, illustriert Meyer mit einem Chor der Toreros, mit einer Gitarre, die an der Wand lehnt oder einer Eidechse, die sich daran hinaufzuschlängeln scheint. Die Windmühlenszene als Kampf gegen riesige Ventilatoren zu inszenieren, ist hingegen von mäßiger Wirkmacht.
Behutsam eingesetzte Videoprojektionen zeugen von einer Welt außerhalb Quichottes Gedankenkosmos. Der Ritter nämlich ist arg versunken in Cervantes’ Buch, steigt aus dieser Fiktion heraus in sein eigenes imaginiertes Abenteuer. John In Eichen gibt diesen edlen Streiter, in der Oper stets als eine Art spanischer Robin Hood benannt, in der Inszenierung indes nicht klar verortet. Er singt mit starkem nasalen Einschlag, in hoher Lage nicht ohne Schärfe, dem Bassregister fehlt mitunter die Wärme.
Gleichwohl ist seine wendige Stimmführung nicht ohne Ausstrahlung. Martin Js. Ohu (Sancho Pansa) gibt einen keck buffonesken, manchmal überzeichneten Tonfall dazu. Schönen, balsamischen Gesang steuert Joslyn Rechter (Dulcinée) bei. Sie tritt als gelangweilte Salondame auf, ihrer in Dauerbalz verharrenden Galane längst überdrüssig. Doch ob sie femme fatale oder femme fragile ist – auch hier gibt die Regie keine Antwort.
Tobias Deutschmann leitet das Wuppertaler Sinfonieorchester, erwirkt einen leichten, duftigen Klang, aber auch kantige Zuspitzung. Frei fließt Massenets Lyrik dahin, mancher emotionale Aufschwung indes bleibt nur undurchdringliche Klangwolke. So hat das Haus mit der Aufführung des Don Quichotte die heroische Tat begangen, das Stück aus der Versenkung zu holen. Denn bei allen Vorbehalten: Massenets heroische Komödie ist zu unrecht aus dem Repertoire gefallen.