Im Treibhaus
Am Ende gruppiert Isolde Topfpflanzen um das Krankenlager ihres Tristan. Dieser hat die Flucht angetreten, hat sich versenkt in eine andere Welt – nicht in den Tod, sondern in eine psychische Erkrankung: Tristan konnte den Schwierigkeiten, die seiner Liebe zu Isolde im Wege stehen, im realen Leben offenbar nicht trotzen und ist in sich selbst abgetaucht.
Da ist Isolde von ganz anderer Statur: lebensbejahend und zupackend. Sie will diesen Tristan haben – nicht imaginär, nicht zaudernd: sie will ihn real im Bett. Und dieses steht während der drei Akte permanent auf der Bühne: Liebesnest und Totenbett zugleich. Und was man zu Beginn schon ahnt, wird am Ende des ersten Aktes konkret deutlich: Isolde und ihr Held hatten schon lange vor der Brautfahrt etwas miteinander – sie war nicht nur seine Krankenschwester nach dem Zweikampf mit Morold. Das erkennt man allein an den fordernden Küssen, die nicht scheu, sondern wiedererkennend sind. Deshalb braucht’s da auch keinen Liebestrank: das aus der ausgestreckten Hand geschlürfte Tafelwasser aus dem Supermarkt hat eher erotisierende Wirkung.
Vera Nemirova zeigt eine eher sanguinische Deutung von Wagners Tristan und Isolde. Da werden Momente zartester Liebeslyrik mit Augenblicken wollüstigster Inbrunst kombiniert. Und hier gelingen Nemirova auch die stärksten Szenen. So bildhaft, so deutlich und so emotional schafft sie es, die Figuren zueinander zu stellen. Das ist allererste Sahne und geht unter die Haut.
Ansonsten baut Klaus W. Noack ein Gewächshaus, beschrieben von Mathilde Wesendonck in einem ihrer Gedichte (Im Treibhaus), das ihre Liebe zu Richard Wagner symbolisiert. Das Heldenpaar auf der Bühne schreibt auch: Zettel. Und es beschreibt: sich selbst. Auf die Arme und die Beine kritzelt man sich gegenseitig die Namen des Geliebten – und so rutscht die Liebe vom Leidenschaftlichen ins schriftstellerisch Intellektuelle. Hier wünscht man sich Entschiedenheit. Grundsätzlich ist Nemirovas Gedanke, Tristan und Isolde im Treibhaus anzusiedeln, eine plausible Sache. Wie die Treibhauspflanzen in Wesendoncks Gedicht („Kinder ihr aus fernen Zonen“) mögen Tristan und Isolde sich fühlen: „ob umstrahlt von Licht und Glanze, unsre Heimat ist nicht hier“.
Dara Hobbs – erkrankt bei der Premiere, bei der ersten Repertoirevorstellung aber wieder voll im Einsatz – singt immer noch nicht ganz frei. Aber sie kann ihre Leidenschaftlichkeit, ihre Begeisterung demonstrieren, dazu ihr perfektes, substanzvolles Piano – ganz großartig. Robert Gambill ist ein routinierter Tristan, der seine Partie beherrscht, der Kraft hat bis zum Schluss, der aber keine wirklichen Akzente setzt oder stimmlichen Glanz ausbreitet. Im Gegenteil: häufig singt er, was die Intonation betrifft, zu tief.
Daniela Denschlags Brangäne wird beherrscht vom weit ausschwingenden Vibrato. Sobald man sich daran gewöhnt hat, vernimmt man ihren sicher geführten, schön timbrierten Mezzo. Mark Morouse behauptet sich als Kurwenal sehr achtbar; gleiches gilt für Giorgos Kanaris als Melot. Martin Tzonev ist ein imponierender König Marke von stimmlicher wie darstellerischer Größe. Ganz ausgezeichnet besetzt sind auch die kleineren Rollen des Steuermanns (Sven Bakin) und des Hirten (Johannes Mertes).
Stefan Blunier leitet das Beethoven-Orchester Bonn, schlägt anfangs langsame, breite Tempi an – ohne Gefahr zu laufen, ins Zähe zu verfallen. Wirklich groß aufblühen lässt er das Orchester erst im dritten Akt, zuvor entwickelt er Klangfarben, wie man sie in dieser Prägnanz nicht häufig zu hören bekommt. Kleiner Wermutstropfen: hin und wieder schleichen sich Patzer ins musikalische Gewebe, vielleicht Unkonzentriertheiten, die schon bei der nächsten Aufführung vom Tisch sind.