Etwas ohne Biss
Seit sechzig Jahren wurde sie in Hagen nicht mehr gegeben, die gemeinsame Arbeit des Komponisten Kurt Weill und des Dramatikers Bertolt Brecht. Thomas Weber-Schallauer inszeniert nun die Dreigroschenoper und entscheidet sich, sie weitgehend von ihrer lustigen Seite zu betrachten: als eine Musiknummernrevue. Jan Bammes baut ihm dazu die passende Bühne: des Bettlerkönigs Peachums Laden mit veritabler (Show-)Treppe und eine Lagerhalle, in der mal Hochzeit gefeiert wird und die sich mittels eines fahrbaren Käfigs in ein Gefängnis verwandelt. Dort werden die Songs schön choreographiert dargeboten und die Mitglieder des Hagener Opernensembles machen ihre Sache auch wirklich gut, bemühen sich sehr und erfolgreich um Brechts Texte. Und dennoch vermisst man ganz wesentliche Aspekte. Es bedarf sicher keiner plumpen Aktualisierung, doch die Bezüge zum Heute, die bisweilen kalt analysierenden und die ab und an zynischen Momente hätten deutlicher herausgearbeitet werden können. Da bleiben die hervorragenden Sängerinnen und Sängern dem Stück eben doch eine Spur tieferen Spielens schuldig. So ist Polly immer das verwöhnte, plärrende Blag, selbst wenn sie sich – in der von Tanja Schun hervorragend gesungenen Ballade - in die zutiefst verletzte und deshalb abgrundtief böse gewordene Seeräuberjenny verwandelt. Die ganze Doppelbödigkeit bleibt etwas auf der Strecke. Charakterzeichnungen gelingen vor allem Werner Hahn, der als die Menschen absolut durchschauender Peachum die Verbindung zwischen Gesang und Sprechteilen gut meistert; und dann Christian Higer, der den Macheath schillernd zu zeichnen vermag. Er gibt ihm das Schmierige, aber auch das verwegen Kaltblütige, das völlig Unsentimentale. Dieser Mackie Messer flirrt und ist unheimlich geschmeidig.
Orlando Mason singt den Polizeipräsidenten Brown ebenso grundsolide und ansprechend wie Maria Klier seine Tochter Lucy. Marilyn Bennett kann als Frau Peatchum besonders in komischen Momenten überzeugen, Evelyne Wehrens als Spelunkenjenny in der Ballade vom armen König Salomo. Die verkommene Hure nimmt man ihr allerdings nicht ab.
Toll der Regieeinfall, den Boten des Königs mit der Nachricht von der Begnadigung Macheaths’ in antikem Gewand und auf einem Pferd sitzend hereinrollen zu lassen. Horst Fiehl ist da ein echter Hingucker.
Auch dieser Dreigroschenoper gelingt es nicht, die Probleme, die sie für ein Regieteam heute mitbringt, zu lösen. Thomas Weber-Schallauer verlegt sich darauf, Weills und Brechts Songs zu bebildern. Das gelingt sehr gut, aber die Dreigroschenoper ist eben weder Oper noch Operette. So bleibt das Darstellerische etwas auf der Strecke - und das lässt durchaus Längen des Stücks erkennen. Andererseits kommen die auch nach über achtzig Jahren immer noch tollen Songs wunderbar zur Geltung. Zumal Alexander Ruef und das Hagener Orchester Weills expressive, farbige Partitur auf das Feinste zum Klingen und zum Leuchten bringen.
Das Hagener Publikum folgt dem Geschehen auf der Bühne mit viel Konzentration und spendet üppig Beifall.