Im Bann Puccinis
Es ist ein ganz seltener Moment, Puccinis Il Trittico komplett auf der Bühne zu erleben. In Nordrhein-Westfalen realisierte das zuletzt bildgewaltig die damalige Dortmunder Opernintendantin Christine Mielitz. Nun wagen es in Köln sechs Damen – flankiert von zwei Herren. Mit phänomenalem Ergebnis.
Dieter Richter baut die Einheitsbühne für alle drei Teile: eine lichtdurchflutete Halle mit Kellergewölbe. Richter weiß, worauf es ankommt und schafft wie stets wunderbar bespielbare Räume. In diesem Fall hat die horizontal geteilte Bühne aber noch einen Vorteil: Die Tatsache, dass die Sänger höher stehen als sonst, lässt deren Stimmen trotz der wattigen Akustik in dem Musical Dome („ Oper am Rhein“) gut zur Geltung kommen
Il Tabarro erzählt eine abgrundtiefe Geschichte von Liebe, Verzweiflung und Mord – schwül im klaustrophobischen Ambiente eines Flusslastenschiffes. Susana Mendoza kleidet die Figuren realistisch, verortet sie ins Arbeiterambiente. Sabine Hartmannshenns Personenführung ist perfekt: Wie sie das Drama der Dreiecksgeschichte in Szene setzt – einfach atemberaubend. Keine Bewegung zuviel, keine zu wenig: Michele, Giorgetta und Luigi treiben ihrem Schicksal unaufhaltsam entgegen. Das Ende ist dann wirklich aus weiblicher Sicht gesehen: Nicht Michele ersticht seine Frau und deren Liebhaber, sondern Giorgetta erdolcht Luigi – ein Versuch, auf Defizite der Ehe aufmerksam zu machen oder zur Routine zurückzukehren. Der Mantel als gütiger Ort des Vergessens – doch der Mord ist längst öffentlich, eine Rückkehr ins kleinbürgerliche Idyll gibt es nicht.
Das klösterliche Leben fließt für Suor Angelica ohne Höhen und Tiefen dahin – nur eines brennt ihr in der Seele. Sie möchte wissen, wie es ihrem unehelichen Sohn geht, dessen Geburt sie im Kloster büßt. Doch der ist längst tot – wie ihr ihre grausame Tante brutal mitteilt. Eva Maria Höckmayr gelingt es, die eher handlungsarme Oper mit einem Hang zur Rührseligkeit durch starke Bilder ganz lebendig und eindrücklich auf die Bühne zu bringen. Julia Rösler kontrastiert das reale Klosterleben mit den unten in der Keller-Hölle angekommenen gefallenen Nonnen im tollen roten Habit, die ein schicker Beelzebub verführt hat. Überhaupt spielen die Kostüme in Suor Angelica eine zentrale Rolle. Die verzeihende Gottesmutter und die unerbittliche Fürstin tragen dasselbe Kostüm und symbolisieren zwei Seiten einer Frau. Bei so kräftigen Bildern kommt das kitschige Ende gerade recht: Angelica, obwohl zur sündigen Selbstmörderin geworden ,darf im Himmel ihren toten Eltern und ihrem Sohn in die Arme sinken: Herzerweichend!
Mit derlei Schicksalsschlägen müssen sich Gabriele Rech und Sandra Meurer nicht herumschlagen. Sie dürfen in Gianni Schicchi alle Register der Komik ziehen, tun dies ausgiebig und lassen keine Wünsche offen. Meurer gibt den geldgierigen Verwandten durch farbig-kontrastreiche Kostüme Individualität – vom Pelz der ältlichen Cousine bis zur Jacke in Kuhfell-Optik des armen Vetters. Rech lässt es durchaus derber zugehen auf der Bühne. Aber das verträgt Gianni Schicchi – und auch die Wiederholung von Gags wie die Verbannung des unbotmäßigen Knaben per Fahrstuhl in den Keller. Dank schneller, bewegungsreicher Personenführung ist dieser dritte Teil ein perlender, quicklebendiger Abschluss des tollen Abends.
Zu diesem trägt aber auch das Ensemble erheblich bei: Die großartige Dalia Schaechter punktet in allein drei Teilen: als fast debile, sammelnde und doch gewitzte Frugola gelingt ihr eine ebenso berührende Charakterdarstellung wie als eiskalter und dennoch mitleidender Fürstin. Und ihre den Schicchi anflirtende ältliche Zita ist köstlich. Scott Hendricks ist ein ebenso tief verletzter Michele wie ein gewitzter, vor Leben pulsierender Schicchi, dessen flexibler Bariton dessen umhereilende Gedanken perfekt umsetzt.
Héctor Sandovals Luigi strotzt vor Selbstbewusstsein, während Asmik Grigorian die zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin- und hergerissene Giorgetta perfekt gesungen und anrührend zeichnet, wie dieses in hohem Maße auch Jacquelyn Wagner als Angelica mit vielen Gänsehaut gerierenden Momente schafft. Blass bleibt lediglich Gloria Rehm, die eigentlich mit O mio babbino caro den Ohrwurm zu singen hat.
Und der zweite Mann, der den gesamten Abend begleitet? Will Humburg stürzt das Gürzenich-Orchester förmlich in einen wahren Puccini-Rausch: ebenso schwelgerisch wie detailverliebt – das war unglaublich gut.
Nur das Kölner Premierenpublikum verdient sich keine Bestnoten: einfach peinlich und rücksichtslos, dass ein Pausen-Ende einfach nicht zur Kenntnis genommen, dass noch im längst abgedunkelten Raum hin- und hergelaufen wird.