Der Rosenkavalier im Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier

Ein sonderbar Ding...

Der Rosenkavalier als zeitloses Stück, als Nachdenken über Liebe, Treue, Jugend, Alter und Vergänglichkeit – solch existenzielle Themen gehen alle an. Regisseur Philipp Harnoncourt unterstreicht die Zeitlosigkeit seiner Inszenierung, lässt sich für den ersten Akt ein 70er-Jahre-Schlafgemach bauen, siedelt den zweiten Akt offenbar in den 50ern an, den dritten in den 30ern - wenn das Blitzlicht jenes Fotoapparates, mit dem Valzacchi den derben Ochs auf Lerchenau in kompromittierender Lage ablichtet, als Indiz genommen werden kann (der Apparat scheint eindeutig ein Vorkriegsmodell zu sein). Ein Gang durch die Jahrzehnte also. Allerdings fragt man sich: weshalb? Was will uns Harnoncourt damit sagen? Die Antwort bleibt er schuldig. Manches gibt Rätsel auf. Etwa der Diener Mohammed, der sich ganz zu Anfang und dann immer wieder einmal auf die Bühne schleicht und wie ein Regisseur (?) die Kulissen bewegt, Vorhänge lüftet, Wände in den Schnürboden verschwinden lässt. Und der ganz am Ende die beiden Verliebten Octavian und Sophie quasi von der (dann völlig leeren) Bühne fegt und in ein tiefes Loch plumpsen lässt. Nicht nett!

Was auf der Bühne zu erleben ist, sind Menschen in unterschiedlichsten Beziehungen zueinander, wobei sich die Präsentation des ungeschlachten Ochs auf Lerchenau in den Vordergrund schiebt, nicht so sehr die Liaison zwischen der Marschallin und ihrem Quinquin… Michael Tews in zünft’gen Lederhosn fühlt sich ein in die Rolle des Ochs, gibt sich nicht nur trottelig-grob, sondern auch klar berechnend. Tomas Möwes als Faninal schlürft als Figur ziemlich gebrechlich und verbraucht über die Bühne, singt eher weniger, sondern deklamiert. Und verspricht sich eine Menge davon, sein Töchterchen mit dem Baron zu verkuppeln. Alfia Kamalova ist dieses Töchterchen namens Sophie, ein Kind noch, das man heutzutage in der Schule mobben würde, das aber immerhin selbstbewusst genug ist, dem Bräutigam einen Korb zu geben und den Herrn Papa damit ordentlich zu blamieren. Verliebt ist Sophie, wenn auch etwas schüchtern, ja in Octavian – eine Rolle, die Nadja Stefanoff ganz großartig ausfüllt, darstellerisch wie sängerisch äußerst differenziert und glaubwürdig – und betörend androgyn! Dass sie als Mariandel in der Beisl-Szene zu einer drastisch aufgedonnerten Nutte mutiert, um den Ochs zum Gespött der Leute zu machen, ist eine der Übertreibungen dieser Inszenierung. Und gleichzeitig verschenkt die Regie gerade hier einiges an möglichem Bühnenwirbel, das verhexte Hinterzimmer wirkt wie ein braves Stübchen mit bunter Kirmesbeleuchtung. Dies alles ist weggefegt zu Beginn des Finales, dass die Marschallin zuletzt kommentiert mit „In Gottes Namen“. Ihre Zeit als von Octavian Begehrte ist abgelaufen. Petra Schmidt singt mit sicherem Sopran, bleibt der Partie aber das letzte Quentchen an Tiefe schuldig, etwa in ihrem großen Monolog über die Zeit im ersten Akt. Auch ein raumfüllendes Piano steht ihr am Premierenabend nicht zur Verfügung.

Rasmus Baumann am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen macht grundsolide Arbeit. Hin und wieder wackelt es noch bedenklich im Orchestergraben, doch es gibt schöne Details bei Streichern, Holz- und Blechbläsern. Gleichwohl kann man sich ein deutliches Mehr an Suggestivkraft, an Intensität vorstellen – exemplarisch etwa im Schlussterzett und seiner großen dynamischen Entwicklung. Da kommt das Orchester (noch) nicht wirklich ganz aus sich heraus.

Gelsenkirchens Premierenpublikum zeigt sich restlos begeistert, Nadja Stefanoff wird für ihren Octavian enthusiastisch beklatscht; auch das Regieteam kann sich in uneingeschränktem Zuspruch sonnen.