Szenischer Korrekturbedarf
Schön gesungen wurde in dieser Luisa Miller-Premiere. Sehr schön, teilweise ergreifend. Von - fast - allen. Susan Maclean als Federica und Sami Luttinen als Wurm, beide exzellente Charakterdarsteller, aber nicht unbedingt Verdi-Spezialisten, machten viel aus ihren nicht sehr dankbaren Rollen, mit präzisem Spiel und expressivem Gesang. Thorsten Grümbel war ein wundervoller Graf von Walter, der seine Gesangslinien genussvoll auskostete, mit flexiblem, klangschönem Bass. Boris Statsenko ging den Vater Miller fast ein wenig zu klangvoll an, fand aber, je länger die Vorstellung dauerte, zu berührendem Baritongesang. Olesya Golovneva als Luisa ist ein Wunder. Ganz natürlich werden die Töne produziert und platziert und fügen sich wie von selbst zueinander. Von den frei schwingenden Koloraturen bis ins tiefe Register springt die Stimme mühelos an, klingt frisch und sehr natürlich. Dabei singt und spielt sie mit großer Intensität und liefert sich dem Regiekonzept ganz aus. Wahnsinn! Von dem wie ein Latin Lover aus dem Bilderbuch daher kommenden Rodolfo des heiseren, belegten, intonationsunsicheren – vielleicht am Premierenabend nicht gesunden? - Giancarlo Monsalve kann in diesem Zusammenhang leider nichts Positives gesagt werden.
Nach lärmendem, etwas zusammenhanglosem Beginn wurden Giordano Bellincampi und die Duisburger Philharmoniker dem Ensemble kundige Partner, blätterten den speziellen Charakter, den Farbenreichtum von Luisa Miller auf mit dem sich fast brutal aus dem Nichts einschaltenden tiefen Streichern oder der fast irritierenden Dominanz von Soloklarinette oder -flöte.
Bühnenbildner Kaspar Zwimpfer hat zwei Welten einander gegenübergestellt: Für Luisa ein Häuschen als dreidimensionale Kinderzeichnung mit Bett, bevölkert von beweglichen, ihr Geborgenheit verschaffenden Strichzeichnungen. Dagegengesetzt ist ein ausgebeinter Wald, gerade, astlose, angefaulte Riesenstämme, überzogen von alten Tauen und Gerüstteilen, eine trostlos monumentale Natur-Kultur-Ruine. Schon die Kostüme von Christof Cremer verweigern sich diesem dialektischen Zugriff. Sie zeigen die üblichen protzigen, teilhistorisierenden Kostüme mit wechselnd hohem Lederanteil für Walter, Wurm und ihre Schergen. Miller trägt Braun, historisch gemütlich, Rodolfo kommt als idealistischer Jüngling im Designer-Retro-Look, Luisa hat eine Mischung aus Nachthemd und Mädchenkleid an, á la Alice im Wunderland trifft Peterchens Mondfahrt.
Aus diesem Stilmix stellt Carlos Wagner sich zusammen, was ihm passt, verweigert sich der nach Stilisierung, nach einheitlichem Zugriff verlangenden Bühnenoptik und setzt kleinteilige, geheimnislose Symbolik anstelle von inszenatorischer Konsequenz. Da rieseln schwarze Federn aus dem weißen Kissen, mit dem Rodolfo hantiert und Luisas Haus wird im Lauf der Handlung immer kleiner, bis sie es in ihrer Todesszene - hundehüttengroß - mit einer Handbewegung zum Einsturz bringt. Sie hat ihre Geborgenheit verloren, sollen wir wissen, sie ist an einem einzigen Tag erwachsen geworden. Ach, Mensch!
Dabei gelingen immer wieder auch packende Szenen, starke, konzentrierte Bilder. Aber sie werden nicht aufeinander bezogen sondern voneinander geschieden, durch kleinliches Herumpsychologisieren und pseudorealistische Personenführung, die dann doch immer mal in die Stilisierung umschlägt, um dann auch mal ganz aufzuhören, so dass die gute, alte Standardgeste a la Arme ausbreiten oder Hand aufs Herz bis zum nächsten inspirierten Moment weiterhelfen muss. Potential ist da, beim Regisseur, beim Dirigenten, beim Bühnenbildner, bei den Sängern sowieso. Ende September ist Premiere in Düsseldorf. Bis dahin kann viel geschehen, kann die Rheinoper am Fall „Luisa Miller“ mit Nachproben ihre Leistungsfähigkeit und Flexibilität beweisen. Und einen anderen Tenor gibt es dann auch!