Letztes Hurra?
Wieder ist es der Kammeroper gelungen, ein großformatiges Stück ohne alle Reibungsverluste auf ihre kleine Bühne zu bringen. Marcel Zaba hat eine schön anzusehende Zwei-Ebenen-Bühne gebaut, die einerseits dem 14-köpfigen Ensemble genug Platz lässt und sich andererseits mit wenigen Handgriffen von der Showbühne mit Glamourfaktor zum intimem Backstagebereich zur schrillen Wohnung von Georges und Albin zum Mittelmeerstrand zum Promirestaurant umbauen lässt.
Bernd Schaarmann knallt keine Travestieparty auf die Bretter. Zwar gibt er dem Komödienaffen mit sauberem Timing durchaus Zucker, aber im Mittelpunkt steht die sehr ernsthaft erzählte Liebesgeschichte zwischen Albin und Georges. Dieser Ernst ist eine große Stärke der Inszenierung. Der Wunsch von Georges‘ Sohn Jean-Michel, seine „Mutter“ Albin möge für einen Tag aus seinem Leben verschwinden, um seine Verlobung mit der Tochter eines erzkonservativen Politikers über die Bühne zu bringen, erscheint als das, was er ist: legitim und über die Maßen grausam. Dazu das Revuemilieu mit seinen vielen kleinen Geschichtchen: Auch hier wird Schaarmann nie nur laut. Mit Liebe, fast mit Zärtlichkeit, mit viel Witz, vor allem aber mit klarem Blick zeichnet er Figuren, die einerseits ihren Träumen nachjagen, andererseits vielleicht auch vor irgendetwas weglaufen.
Das Ergebnis ist eine unendlich liebenswerte Aufführung, die maßgeblich von der Intimität des Raumes lebt und etwas, was sich nur, zugegeben recht diffus, als „Geist des Hauses“ beschreiben lässt: man begegnet den Stücken fröhlich mit Respekt, aber ohne falsche Demut. Abgründe werden nicht zugeschminkt. Die homophoben Anwürfe des Schwiegervaters in spe etwa werden keinesfalls beschönigt. Und die Komponenten stimmen. Die Kostüme von Vaia Pangea sind schön bunt, vor allem aber ästhetisch eigenständig und das Lichtdesign von Markus Friele „sitzt“ passgenau auf dem Abend. Robina Steyer und Benedict Offermanns haben frische, phantasievolle, praktikable, oft die Geschichte sogar vorantreibende Choreographien erfunden und Inga Hilsberg, selbst am E-Piano, hat mit Klarinette, Violine und Schlagzeug eine Minicombo zusammengestellt, die einen mit viel Drive und sehr nuanciertem musikalischen Ausdruck das große Musical-Orchester nicht vermissen lässt.
Das große Ensemble singt, spielt und tanzt wunderbar, völlig ohne aufgesetztes Pathos oder übertriebene Witzigkeit und sorgt für viele kleine Glanznummer. Wolf H. Latzel, so etwas wie der „Hausstar“ der Kammeroper, begabt mit urgewaltigem Bariton, hat im Georges vielleicht eine seiner schönsten Rollen gefunden. Sowohl den robusten Showman als auch den sensiblen, zärtlichen Partner glaubt man ihm. Dazu singt er, vor allem im wunderbaren „Song am Strand“ sehr subtil, mit bezauberndem Wohlklang, zumal im oberen Register. Seine „Frau“ ist Guido Kleineidam, den man, trotz Albins gelegentlich albernen Gehabes, von Anfang an eng in sein Herz schließt. Kleineidam zeigt die Verwundbarkeit seiner Figur ohne die kleinste Larmoyanz und bleibt ihr auch auf dem komischen Sektor nichts schuldig. Den berühmten Showstopper „Ich bin, was ich bin“ singt er überraschend intim, sogar fast autoaggressiv, weder als große Nummer noch als Credo, eher als verzweifelte Selbstbestätigung, dafür dreht er dann mit „die schönste Zeit“ richtig auf. Am Ende stehen beide allein auf der großen Showbühne und küssen sich – erstmals an diesem Abend, aber dafür so lange bis der Vorhang fällt.
Es ist sehr traurig, nach einer derart fantastischen Aufführung zu erfahren, dass die Kammeroper ihre Heimstatt verlieren wird. Der Vermieter hat zum Ende der nächsten Spielzeit gekündigt. Er will auf dem Grundstück profitable Eigentumswohnungen errichten. Das Ensemble steht bereits mit einem Bein auf der Straße und zur Zeit scheint keine Rettung in Sicht.
Nun tritt in Köln im September eine neue Kulturdezernentin an. Sollte diese sich für gut gemachtes, unterhaltsames Musiktheater interessieren, kann sie ja eventuell ihr Kulturamt bewegen, zumindest aktiv auf der Suche nach einem neuen Quartier für die Kammeroper zu helfen. Sonst gehen die Lichter vielleicht aus im nächsten Sommer. Und es sind sehr schöne Lichter! Davon kann man sich anhand von La Cage aux Folles bis Ende Juli überzeugen. Solange wird das Stück en Suite gespielt, jeweils von Mittwoch bis Sonntag. Ein paar Karten gibt es wohl noch!