Übrigens …

Delusion of the Fury im Bochum, Jahrhunderthalle

Klang-Faszination

Am 23. Februar 1361 begann das Grauen, jedenfalls für den amerikanischen Komponisten Harry Partch (1901-74). Und es hat bis heute nicht aufgehört. An jenem „fatalen Tag von Halberstadt“ wurde erstmals ein Orgelmanual benutzt, bei dem eine Oktave sieben weiße und fünf schwarze Tasten umfasste: die Geburtsstunde der wohltemperierten Stimmung. Ein schrecklicher Irrglaube, laut Partch. Besessen entwarf er ein Gegenmodell. Er versuchte, mithilfe von angewandter Mathematik, eine Harmonisierung der Obertonreihe, um diese symmetrischer denken und hören zu können und schuf eine aus 43 Mikrotönen bestehende Tonleiter. Für die musste er dann natürlich Instrumente bauen, denn herkömmliche Orchesterinstrumente schaffen das nicht.

Diese Erfindungen, Riesenklangstäbe, verschlungene Harfen, zitherartige Klangbretter, Ansammlungen von Kalebassen, Glasgefäßen oder Bambusstäben bevölkern - nachgebaut von dem Percussionisten Thomas Meixner und angeführt von einem merkwürdigen Harmonium - die Bühne der Bochumer Jahrhunderthalle für Delusion of the Fury zur Eröffnung der Ruhrtriennale. Das Ensemble musikFabrik singt, spielt alle Rollen und macht vor allem wunderbare Musik. Was für ein Klangspektrum: hell, wild fließend, immer in Bewegung, immer bei sich. Man hört unheimlich gerne zu. Klaus Grünbergs Bühnenzauber – die hinreißende Beleuchtung, die aufblasbaren und wieder zusammenfallenden Riesenskulpturen, der sich durch den Instrumentenwald schlängelnde Bach samt Miniaturwasserfall, dessen Wasser die Farbe wechseln kann – ist schön anzusehen, kommt aber gegen diese Musik nicht an, hat diesem absoluten Klang nichts entgegenzusetzen. Heiner Goebbels steuert die Bewegungsabläufe der darstellenden Musiker meisterhaft, deutet die von einem japanischen No-Spiel und einem äthiopischen Märchen inspirierten Geschichten aber nur vorsichtig an, mit behutsam tastenden Choreographien, nicht eben unterstützt von Florence von Gerkans klotzigen Historienkostümen. So kommen auch die Geschichten - die Auseinandersetzung zwischen einem reuigen Mörder und einem von Rache besessenen Geist und die aberwitzige Geschichte um einen tauben Landstreicher, eine tumbe Ziegenhirtin und einen fast blinden Richter voller Missverständnisse, aber mit einem schönen Abschiedsfest samt Lob auf die versagt habende Justiz – nicht gegen die Musik an. Man hört verzaubert diese fremden, seltsam vertraut anmutenden Klänge zwischen E und U, erst buddhistisch, später afrikanisch grundiert, mit Unisono-Ensembles, widerspenstigen Rhythmen und Motiven, lustvollem Chorgebrumm, aber auch Partikeln, die aus Beatles-Songs herausgebrochen sein könnten. Dieser Klang lullt nicht ein, ermüdet nicht, er überrascht, hält wach, weckt Wohlgefühle. Dazu der Blick auf diese Instrumente wie ins Kraut geschossener Seventies-Trödel – einfach großartig.

Viel geschmackssichere Eleganz, viel positive Energie, vielleicht ein bisschen wenig Theater.