Wohl bekomm‘s
Zehn Jahre lang hat Klaus Weise die Geschicke des Bonner Theaters erfolgreich geleitet und sich als vom Schauspiel herkommender Regisseur hier verstärkt auch mit der Oper auseinander gesetzt. Aus jüngster Zeit wird seine gelungene Inszenierung von Hindemiths Triptychon besonders in Erinnerung bleiben. Ob er gerne weiter …? Doch ein Jahrzehnt am gleichen Ort mag man in diesem Job generell als ausreichend empfinden, außerdem gab es unangenehme Spardiskussionen. Die Auflage, innerhalb von 3 Jahren mit 3,5 Millionen weniger auszukommen, wurde nicht aufgehoben, und so muss Weises Nachfolger Bernhard Helmich (bislang Chef in Chemnitz) schauen, wie er damit klar kommt. Er hat bereits seine Willigkeit erklärt, sonst hätte er sein neues Amt auch gar nicht erst angetreten.
Helmich weiß auch, dass es ohne traditionelles Repertoire nicht geht, und so stehen in dieser Spielzeit Jesus Christ Superstar, Tosca und Aida als Neuproduktionen an. Nach Lakmé (Léo Délibes) wird als weitere Rarität aus Frankreich Jules Massenets Thais auf den Spielplan gesetzt, wobei diese Wahl sicher auch mit der Sopranistin Miriam Clark zu tun hat, die sich das Bonner Publikum schnell zu erobern verstand. Besondere Schwerpunkte will Helmich auf das Schaffen des 20.und 21. Jahrhunderts legen. Für die Wahl von Walter Braunfels Der Traum ein Leben muss man ihm wirklich dankbar sein. Pinocchio von Jonathan Dove ist in Koproduktion von Opera North in Leeds und Chemnitz entstanden, der Transfer nach Bonn dürfte Kosten sparen.
Noch weiter herumgereist ist George Benjamins Written on Skin, nämlich von Aix (Uraufführung Juli 2012) u.a. nach London und München. Auf die Inszenierung Katie Mitchells antwortet Bonn mit einer eigenen Produktion, welche der aus Estland stammende Hendrik Vestmann dirigiert; Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka haben inszeniert und ausgestattet. Das weibliche Duo aus Ungarn bildet seit Studienjahren ein festes Team.
Der Operntitel lautet übersetzt „Geschrieben auf die Haut“. Das ist eine metaphorische Formulierung, welche auf die Bedeutung von Büchern im 13.Jahrhundert abhebt. Aus dieser Zeit nämlich stammt das Troubadour-Gedicht „Le coeur mangé“, womit das Metaphorische nun freilich eine Beimischung von Grausamkeit erhält. Das verspeiste Herz gehört einem jungen Buchmaler und wird von dem reichen, moralisch anmaßenden Protector seiner ahnungslosen Gattin Agnès zum Essen vorgesetzt, nachdem er erfahren hat, dass die beiden ein Liebesverhältnis verband. Der junge Mann war vom Protector ins Haus gebeten worden, um sein Leben und seine guten Taten in Schrift und Bild zu verherrlichen. Die Lovestory beginnt eher verhalten, um sich dann aber in einen leidenschaftlichen Rausch zu steigern. Agnès will, dass ihr ungeliebter Gatte davon erfährt - das ist ihre Rache. Die Mahlzeit mit dem Herzen des Buchmalers - das ist die seine.
Mit alledem ist keine kriminologisch Geschichte im engeren Sinne beabsichtigt, zumal Martin Crimp sein Libretto dramaturgisch verklausuliert. Drei Engelsfiguren schlagen von der Jetzt-Handlung immer wieder Brücken zurück ins Mittelalter, zwei von ihnen verwandeln sich mitunter auch in das Paar Marie (Schwester von Agnès)/John, welches das Eifersuchtspotential der Story steigert. Die Protagonisten sind nicht nur Ich-Personen, sondern referieren partiell auch die Handlung, in welcher sie gerade agieren. Von den Regisseurinnen wird dieses Verwirrspiel mit einem Arsenal von Statisten (Engel, Menschen) zunehmend auf die Spitze getrieben. Man muss sich also schon mit einigem Intellekt und noch mehr Konzentration wappnen, um den Bühnenvorgängen folgen zu können. Benjamins Musik, die überall große Zustimmung gefunden hat (Covent Garden hat sogleich ein neues Werk bei ihm bestellt), bleibt heutiger Musiksprache nichts schuldig, setzt aber doch auf eine neue kantable Intensität. Sänger dürften für die Möglichkeit zu expressiven Kantilenen dankbar sein, die freilich keine neue Tonalität etablieren, wie von einer Rezension angedeutet.
Für die beiden kleinen Partien sind in Bonn mit Susanne Blattert und Tamás Tarjányi hochbewährte Ensemblemitglieder aufgeboten. Als junger Buchmaler wurde der noch nicht 30jährige Counter Terry Wey gewonnen, der vor kurzem auch in der Düsseldorfer Herheim-Inszenierung von „Xerxes“ mitwirkte. Er wurde bei den Wiener Sängerknaben ausgebildet und interpretiert heute naturgemäß viel Barockmusik. Aber auch die typischen Counter-Partien aus dem Bereich der modernen Oper gehören zu seinem Repertoire, nun also auch Benjamins „Junge“, dem er mit klaren Vokalkonturen ein Gepräge von jungmännlicher, partiell noch pubertärer Leidenschaft gibt (weiterhin zählt auch er zur Schar der Engel). Miriam Clark ist als Agnès eine „Frau mit zwei Gesichtern“, um einen Garbo-Film zu zitieren. Zu Beginn eine Unterdrückte, angekettet am Boden kauernd, erwacht in ihr mehr und mehr eine explosive Eigenpersönlichkeit. Für ihre ehebrecherische Liebe büßt sie freiwillig mit einem Todessprung. Gesanglich blitzt es bei dieser Künstlerin förmlich. Ebenso hinreißend, ja geradezu verausgabend in Stimme und Darstellung: Evez Abdulla, ein Bariton aus Aserbeidschan, als Protector. Hendrik Vestmann bietet mit dem Beethoven Orchester den Sängern eine ebenso klangschillernde wie klangmassige Folie.
Den beiden Regiedamen wurde bereits eine gewisse Exaltiertheit ihrer Bildideen attestiert. Wenn man freilich bereit ist, nicht jede optische Entscheidung auf die Goldwaage der psychologischen Stichhaltigkeit zu legen, sondern die Bühnenvorgänge einfach auf sich wirken zu lassen, kann man nur beeindruckt sein. Der anwesende Komponist war es mit Sicherheit. Das Bühnenbild ist im übrigen enorm zwingend: eine mit Büchern übersäte Szene, darauf ein architektonisch komplizierter Aufbau, in welchem Wohnungsausschnitt und eine Art Gebirgslandschaft optisch attraktiv miteinander verzahnt sind. Um die vielen Details der Aufführung angemessen aufzunehmen und würdigen zu können, müsste man sich im Grunde mindestens ein zweites Mal ansehen
Kritische Anmerkung. Das Programmheft gefällt sich mehr in literarischen Assoziationen, als dass es sich zum Werkhintergrund äußert. Bedauern. Die bislang bestehenden Monatshefte gibt es nach nicht mehr, was als Sparmaßnahme indes akzeptabel ist. Auch Künstlerinformationen fehlen, was umso stärker wiegt, als die Homepage des Theaters nur zu den wenigsten Ensemblemitgliedern nähere Angaben macht.