Changierend zwischen Jahrhunderten
Vielleicht ist dies wieder so eine Inszenierung, zu deren Verständnis man das Programmheft lesen muss, in dem ein Aufsatz des Dramaturgen zu lesen oder ein Interview mit dem Regisseur abgedruckt ist. Vielleicht hat Jens-Daniel Herzog mit seinem Don Carlo zuviel gemeint, mag aber auch sein, dass der eine oder die andere im Publikum ganz einfach nicht richtig „schalten“ und begreifen kann, was da auf der Bühne verhandelt wird.
Der Anfang ist eigentlich klar: der Leichnam Karls V. liegt aufgebahrt, rechts und links eingerahmt von bewaffneten Wachsoldaten. Schlangen von Menschen bilden sich, um vom Herrscher Abschied zu nehmen; Menschen aus den 60er-, 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Marquis Posa tritt betrachtend hinzu – auch ein Mensch, der in die 70er passt, mit Mantel, Anzug und Weste gekleidet, in der Hand eine Aktentasche. Dann stürzt Don Carlo ins Bild: ein gepflegter junger Mann in Pluderhosen und ausgestattet mit einem Degen – ein waschechter Infant also, wie er einem Renaissance-Gemälde aus dem Prado entstiegen sein könnte. Wenig später kommen Filippo II. und Elisabetta, auch sie in zeittypischem Ornat.
Herzog will Zeitebenen verschränken, soviel wird schon deutlich. Elisabettas Hofdamen vergnügen sich an einem aufblasbaren Plastik-Schwimmbecken und sonnen sich in Liegestühlen. Prinzessin Eboli ist eine von ihnen, aber eindeutig nicht in der Renaissance verortet sondern wie alle Damen im Heute. Die nächtliche Begegnung zwischen Don Carlo und Eboli (die Carlo für Elisabetta hält) findet statt in einer engen Kulisse, die den Charme eines Pausenraums eines Theaters oder eines Amtsgerichts verströmt. Jede Szene für sich genommen ist irgendwie stimmig, doch die Frage bleibt: was will Jens-Daniel Herzog uns mit dem Ganzen sagen? Weshalb inszeniert er das Autodafé zum Ende des 2. Aktes als Abendmahl an flugs zusammengeschobenen Tischen und mit zwölf offenbar ranghohen Militärs, Filippo in der Mitte, der wie Jesus das Brot bricht und Wein zu trinken gibt – zwölf „Apostel“, die auf Kommando sämtlich von Kugeln niedergestreckt werden?
Sicher: es geht um Macht und Gewalt, um Freiheit und Unterdrückung. Ganz wichtige und Epochen übergreifende Themen, gerade in der und für die Oper allgemein und bei Giuseppe Verdi insbesondere! Herzog, so scheint es, will dafür plastische, greifbare und vielleicht auch drastische Bilder zeigen. Das gelingt ihm aber kaum überzeugend, weil sie sich nicht zu einem Ganzen runden wollen.
Musikalisch wird man im Dortmunder Opernhaus gut bedient. Gabriel Feltz, seit dieser Spielzeit Generalmusikdirektor und Nachfolger von Jac van Steen (dessen Nichtverlängerung seines Vertrags im letzten Jahr viele fragende Gesichter und Unverständnis ausgelöst hat), liefert einen grundsoliden Verdi-Klang mit flüssigen Tempi, ohne krachendes Tutti (wobei es da stellenweise durchaus etwas mehr Fortissimo hätte sein dürfen...) und hält ständigen Kontakt zur Bühne. Luc Robert in der Titelpartie hat die Tendenz, gern mal etwas wegzulaufen, voranzueilen, Feltz holt ihn meist erfolgreich wieder zurück. Robert legt ganz viel Italianitá in seine Stimme, die klanglich nicht besonders flexibel, aber von großer Kondition ist. Wen Wei Zhang übernimmt die Rolle des Filippo, wirkt anfangs etwas, als müsse er seine Gesangslinien buchstabieren, ist aber spätestens mit seinem „Ella giammai m’amo“ auf stimmlicher Höhe. Nobel auch Gerardo Garciacano als Marquis Posa: ein ebenmäßiger, in allen Lagen ausgeglichener und balsamischer Bariton. Christian Sist ist als Großinquisitor vor allem kräftig und gebieterisch – und ein wenig zu sehr bebend. Was noch viel mehr gilt für Katharina Peetz und ihre Eboli. In ihrem Schleierlied bleibt doch viel Sängerisches im Ungefähren, ohne präzise Genauigkeit, wenngleich Peetz die nötige Höhe mühelos erreicht. Für ihr „O don fatale“ bringt sie zwar eine schöne Farbe zur Geltung, doch fehlt die sonore Tiefe – und der letzte Funke an Akkuratesse.
Grandios und vom Premierenpublikum zu Recht mit Beifall überschüttet: Susanne Braunsteffer als Elisabetta. Sie leidet, sie hofft, sie wünscht, sie fleht... und dies mit Intensität, mit großer Überzeugung. Eine starke Leistung!
In den Beifall mischen sich einige Buhs, als das Regieteam sich auf der Bühne zeigt.