Tiefe Trauer und gnadenlose Morde
Über einem tiefen Krater schwebt eine Brücke und zum Hexenchor hebt sich eine gewaltige Baumwurzel drohend darüber. Große, fast erschlagende Bilder für Macbeth, die Christof Hetzer da wählt und die eigentlich schon überdeutlich sind. Düster ist seine Bühne, links eine Art Steintrog oder archaischer Altar, auf dem Macbeth nach seinen Morden die Opfer darbringt und der Macht huldigt. Ansonsten geht es im permanenten Halbdunkel dieser Inszenierung vor allem um Nachkommenschaft.
Vorn auf der Bühne ist das Grab des ungeborenen Kindes. David Hermann lässt dort Macbeth und Lady Macbeth getrennt trauern. Für ihn, den Regisseur, ist der zentrale Ansporn für das Handeln der Titelfigur diese Trauer - oder vielleicht besser: die Unfähigkeit zu trauern. Deshalb werden auch die Kinder von Banquo verfolgt und die von Macduff kaltblütig aus dem Weg geräumt.
Hermann führt diesen Gedanken konsequent zu Ende. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, wenn zum Festmahl viele Erwachsene, aber auch Kinder aus dem 19. Jahrhundert, unberührt vom Spuk längst vergangener Tage, auf der Heide fröhlich picknicken. Parallel zum entspannten Treiben lädt Macbeth die Toten als Gäste und bemalt die Leichen wie Skelette. Das ist ein starker Moment in einer Inszenierung, die sonst eher ohne große Höhepunkte dahin fließt.
Diese liegen eher auf der musikalischen Seite: Am Pult steht mit Tomás Netopil der neue Generalmusikdirektor der Essener Philharmoniker und offenbart bereits eine große Harmonie mit ihnen. Seine Macbeth-Lesart ist eher filigran und auslotend. Das zeitigt eine ganz wunderbare Durchhörbarkeit und in den leisen Passagen eine starke Spannung, die Aufmerksamkeit geradezu erzwingt. Dafür geraten die großen Gefühlsausbrüche eher gebremst.
So gut wie eigentlich immer singt Alexander Eberles Chor; das Solistenensemble ist in seiner Gesamtheit sehr stark aufgestellt. Die neuen Ensemblemitglieder Baurzhan Anderzhanov (Arzt) und Abdellah Lasri (Duncans Sohn Malcolm) präsentieren ihre kleinen Rollen ebenso souverän wie Marie-Helen Joël die Kammerzofe. Alexey Sayapin ließ mit seinem runden Tenor als Macduff aufhorchen.
Zu Recht mit riesigem Applaus bedacht wurde Liang Li. Er singt den Banquo mit einer wunderschönen, warmen, ungeheuer raumgreifenden Stimme. Gun-Brit Barkmin ist eine sich stetig steigernde Lady, die nach innen leidet und sich keine großen Ausbrüche gestattet. Das macht ihre Versuche, das Blut von den Händen zu waschen, umso berührender.
Eine tolle Charakterstudie zeichnet Tommi Hakala in der Titelpartie. Berührend, wie er die ständig größer werdende Gier, die Macht mit Leben verwechselt, mit kräftiger, farbenreicher Stimme zeichnet, oder völlig fasziniert von der eigenen Verschlagenheit an der Wand dem Ausführen seiner Auftragsmorde lauscht. Das sind die faszinierenden Momente in diesem Macbeth.
Alle Beteiligten ernten herzlichen Beifall – ein gelungener Start für das neue Leitungsteam der Aalto-Oper, dem es in der Zukunft sicher gelingen wird, seinem Publikum noch mehr Emotionsäußerungen zu entlocken, wie man sie aus Essen bislang kennt.