Übrigens …

Eugen Onegin im Köln, Oper

Mit alter Wut

In den letzten Jahr schien es so, als wolle sich der einstige Regie-Berserker Dietrich Hilsdorf nach 35 Jahren Ochsentour durch deutsche Stadttheater auf das Altenteil handwerklicher Meisterschaft zurückziehen. Beim Kölner Onegin blitzt sie allerdings noch einmal auf, die alte Ausdruckswut. Um soziale Kälte, geistige Enge, gesellschaftliche Konventionen soll es gehen, die den einzelnen, macht er sich einmal angreifbar wie Tatjana mit ihrem Liebesbrief an die Titelfigur, unweigerlich in die Katastrophe treiben – oder in die Resignation.

Um diesen Aspekt ins Zentrum der Aufführung zu stellen versucht Hilsdorf, mit altgewohnter Brachialität, das Stück aus dem dominanten romantischen Kontext zu lösen. So amputiert er den Anfang des ersten Chorauftritts. Dieser dient eigentlich dem ländlichen Lokalkolorit und der Herausarbeitung der sozialen Stellung der Grundbesitzerfamilie Larin. In Köln zu sehen sind 30 Herren in Smokinghemden und 30 Damen in ärmellosen schwarzen Kleidern, die auf die Bühne kommen, hervorragend singen und wieder gehen, nachdem ihnen die Gutsbesitzerin einen Zylinder voll Kleingeld zuerkannt hat - ein sinnfreies, peinliches Pausenzeichen. Danach geht es „normal“ weiter. Tatjanas große Briefszene ist ein intensives, souverän gebautes Monodrama ohne jeden Schnickschnack.

Seine unumstrittenen Fähigkeiten entfaltet der Regisseur mithilfe von Dieter Richters variabler, großbürgerlicher Kulisse in der Festszene des zweiten Aktes. Wie er hier Solisten und Massen differenziert führt, wie er nach der Duellforderung des unglücklich liebenden Lenski an den lieblosen Onegin noch einen abschließenden, brutal augenzwinkernden Akzent setzt, nämlich den Zusammenbruch der Gutsbesitzerin, beeindruckt.

Nach der Pause badet Hilsdorf das Geschehen geradezu in romantischer Ironie. Das Duell zeichnet er als eine Art Russisches Roulette für zwei in einer ans absurde Theater erinnernden Atmosphäre, einem riesigen Raum, in dem die Menschen nur mit sich selbst beschäftigt sind. Keiner zuckt, wenn der Schuss fällt. Nur die alte Amme, von Anna-Maria Dur stimmlich und darstellerisch fast zur Protagonistin aufgewertet, fällt tot vom Stuhl. Folgerichtig gibt es zur berühmten Polonaise auch kein Ballspektakel, sondern ein Leichenbegängnis. Man trägt Schwarz. Gremin, Tatjanas neuer Ehemann, spult mit der angegrauten Stimme Robert Holls seine eigentlich wunderschöne Arie ab. Dann kommt es zum abschließenden Showdown zwischen den aneinander vorbei liebenden Liebenden.

Dass das heterogene Konzept im Großen und Ganzen aufgeht, liegt vor allem an den hervorragenden Protagonisten. Andrei Bondarenko ist Onegin. Besonders die Szene, in der er Tatjana auf ihren Liebesbrief antwortet brennt sich ein. Dazu setzt er seinen gesunden, flexiblen Bariton sehr differenziert ein. Olesya Golovneva, inzwischen in Köln und Düsseldorf, fast ein Idol, begeistert als Tatjana mit großer Natürlichkeit in Spiel und Gesang. Tschaikowskijs komplexe Gesangslinien formen sich bei ihr scheinbar von selbst. Matthias Klink steigert sich nach etwas unflexiblem Beginn und macht aus der Arie des Lenski, wie es sein muss, den Dreh- und Angelpunkt der Aufführung. Der jungen, darstellerisch sehr präsenten Olga der Adriana Bastidas Gamboa liegt die Olga ein wenig zu tief. Sie erreicht die Töne im tiefen Register, kann sie aber nicht gestalten. In den kleinen Partien wird hervorragend gespielt und ein wenig mit der russischen Sprache gekämpft.

Chor und Orchester musizieren homogen auf hohem Niveau. Der Dirigent verwundert in mehrfacher Hinsicht. Marc Piollet dirigiert Tschaikowskij ohne Taktstock und fast ohne Blick für die Sänger. Er gibt nur wenige Einsätze, lässt die Protagonisten etwa in den schwierigen Quartetten des ersten Aktes komplett allein. Er breitet die Farbvaleurs dieser Ausnahmepartitur kompetent aus. Dafür wählt er zügige aber etwas unflexible Tempi, lässt die heute noch so berührenden „lyrischen Szenen“ zu nüchtern und geheimnislos ablaufen.