Herzeleid in Tönen
Wie sein Landsmann Bedrich Smetana ist Antonin Dvorak nur mit einer einzigen seiner Opern auf hiesigen Bühnen wirklich geläufig, nämlich Rusalka Dass dieses Werk allerdings zum festen Repertoire gehört, bewies in jüngster Zeit das Interesse großer Häuser wie München (Regie: Martin Kusej), Berlin (Regie: Barrie Kosky) und Brüssel (Regie: Stefan Herheim). Die zweite Vorstellung der Neuproduktion in Aachen konnte mit ihren lichten Zuschauerreihen freilich glauben machen, diese Tatsache sei hier bislang noch nicht zur Kenntnis genommen worden. Doch soll von diesem Befund nicht auf die Premiere geschlossen werden, die dem Vernehmen nach gute Resonanz fand, auch nicht auf die noch folgenden Aufführungen.
Dvorak hat mit dem Stoff und der Musik seiner vorletzten Oper die Romantik noch einmal voll ins 20. Jahrhundert geholt, mit aller Schönheit, allem Glanz und auch aller Wehmut, welche diesem Märchenstoff innewohnt. Jaroslav Kvapil, der Librettist, orientierte sich vor allem an Hans Christian Andersens Kleiner Seejungfrau und Gerhart Hauptmanns Drama Die versunkene Glocke. Die Nixe Rusalka (verwandte Figuren sind Undine und Melusine) fühlt sich im Herzen leer, in ihrem angestammten Wasserelement unbehaust. Sie sehnt sich nach irdischen Gefilden, die sie idealisiert, nach Liebe und einer Seele, die ja nur Menschen besitzen. Sind diese deshalb auch moralisch bessere Wesen? Sicher nicht, wie die tragische Geschichte aufdeckt. Dvoraks Musik hält für den Prinzen immerhin ein kleines Plädoyer bereit, gönnt dem in seiner Liebe Wankelmütigen Verzeihung. Das Leid Rusalkas, die zum Irrlicht geworden ist, mildert sich dadurch freilich nicht, dennoch liegt über dem Ende der Oper ein mildes Licht der Versöhnung, vielleicht sogar des Friedens.
Auch wenn es immer noch Freude bereitet, Andersens Märchen in einer Buchausgabe mit Illustrationen der Entstehungszeit zu lesen: auf der Bühne lässt sich Rusalka nicht mehr naiv erzählen, auch wenn dies am Theater, von dem hier berichtet wird, vor etwa zwanzig Jahren der Fall war (Günther Schneider-Siemssen). Die jetzige Ausstattung (Elisabeth Pedross) zeigt drei hohe, kahle Baumstämme, bietet aber auch viel herbstliches Laub, was eine leicht romantische Stimmung erzeugt. In den Boden eingelassen sind mehrere wassergefüllte Becken, welche diesen Eindruck unterstreichen. Aber dann geht’s unromantisch zu. Die kindhaften Nymphen (zu den Sängerinnen Soetkin Elbers, Camille Schnoor und Dimitra Kalaitzi-Tilikidou gesellen sich einige Statistinnen) werden von ruppigen Männern massiv bedrängt und heftig begrapscht. Wenn dann Jezibaba im hautengen roten Glitzer über die Szene stöckelt, steht endgültig fest, dass es sich hier um ein Bordell handelt, wohl um die Außenstelle eines verzweigten Konzerns. Das Büro liegt versteckt unter der Erde.
Der Charakter des Wassermanns wird in diesem Umfeld nicht ganz klar, auch wenn Intendant und Dramaturg Michael Schmitz-Aufterbeck in seiner Einführung im Foyer eifrig auf Parallelen zu Alberich und den Rheintöchtern bei Wagner hinweist. Das stützt zumindest das Konzept seiner Gattin Ewa Teilmans, der Regisseurin. Sicher kann man dem Wassermann in Grenzen ein johannistriebhaftes erotisches Begehren unterstellen, aber Libretto und Musik machen da nur bedingt mit. Aber Frau Teilmans möchte es den Männern offensichtlich einmal so richtig geben. Und so geht im zweiten. Akt auch der Heger dem Küchenjungen (hier ein Dienstmädchen) tölpelhaft an die Unterwäsche. Ganz vermag die Inszenierung dem Wassermann eine Fürsorglichkeit für Rusalka nicht zu nehmen. Für diese steht sein trauriges Lied im 2. Akt ebenso wie der Fluch auf das Menschenpack im letzten. Auch die Puffmutter Jezibaba verliert nun letzte Reste der aufoktroyierten Rollenkontur. Die Planschbecken sind in diesem Finalbild weiterhin vorhanden und werden auch eifrig benutzt; von den Bäumen ist nur ein Stumpf übrig geblieben. Dafür erhebt sich symbolhaft gewichtig eine Müllhalde, in welcher sich die Nymphen nach ihrem becircenden Gesang verkrallen. Der Wassermann macht es sich mit einer neuen Zigarette hingegen gemütlich.
Die Intentionen der Regisseurin scheinen nicht nur einigermaßen fehlgelenkt (ein Nebenaspekt wird zum Hauptgedanken), sondern ihre Inszenierung wirkt über weite Strecken einfach ungeschickt gearbeitet, im Mittelakt mit den langweiligen weißen Stoffbahnen sogar unzulänglich. Wenn Rusalka Linda Ballova auf der Bühne steht, vermag man das immerhin vorübergehend zu verdrängen. Die junge Slowakin gibt nämlich ein zutiefst rührendes Mädchenbild ab und singt ganz einfach bezaubernd.
Auch sonst hat sich Aachen für seine in tschechischer (!) Sprache erarbeitete Produktion erfolgreich um rollenprägende Sänger bemüht. Sanja Radisic (aus dem Ensemble) besticht als Jezibaba mit satter Mezzofülle (man hört sie förmlich als Erda), Irina Popova (von Sandra Münchow nicht eben vorteilhaft kostümiert) bietet als Fremde Fürstin eine gediegene Leistung. Der polnische Bariton Jacek Janiszewski, mehrere Jahre in Bielefeld engagiert, macht mit voluminöser Stimme aus dem Wassermann eine fast wotanähnliche Figur. Zum Repertoire des Kanadiers Christ Lysack, dessen Jahre im Hamburger Opernstudio noch nicht lange zurückliegen und der bislang das leichtere Tenorfach abdeckte (z.B. Monostatos), überzeugt als Prinz mit lyrischer Linie, geschmackvoller Artikulation und einer mühelosen Bewältigung des heiklen Spitzentons im 3. Akt. Rustikal porträtiert Rüdiger Nikodem Lasa den Heger.
Unter Kazem Abdullah klingt Dvoraks Musik um Grade zu laut, ihre Zartheit kommt zu kurz. Das hat teilweise mit der Raumakustik zu tun, die nach einer Renovierung des Theaters vor einigen Jahren eigentlich behoben sein sollte, aber wohl doch nicht letztgültig. Immerhin erwies sich für den Rezensenten ein Platzwechsel als günstig. Die opernhaft theatralischen Impulse der Oper kamen beim Dirigenten und dem Sinfonieorchester Aachen aber gut und wirkungsvoll heraus. Viel Begeisterung im Publikum - er entschädigte für die bescheidene Platzausnutzung.