Übrigens …

Tosca im Oper Bonn

Im Mafia-Milieu

Rom, um 1800. So die übliche Angabe bei Puccinis Tosca. Doch häufig schon haben Szeniker, die Gefahr von Ausstattungsäußerlichkeit erkennend, andere Bezüglichkeiten gewählt, um dem Geschehen eine neue Verbindlichkeit zu sichern und die „zeitlich ungebundene Brutalität des Bösen“ zu betonen. So jedenfalls formuliert es eine Bildunterschrift zur Hamburger Inszenierung von 1989 durch Giancarlo del Monaco, welche auf optisch surreale Momente setzte. Eine andere, sogar näher liegende Möglichkeit ist die Transposition der Handlung in eine andere Zeitepoche. Eine Florentiner Produktion von 1986 wählte beispielsweise das Jahr 1944, als Rom von den Deutschen besetzt war. Philipp Kochheim hat sich jetzt in Bonn für die 70er- bzw. 80er-Jahre entschieden, als die Mafia das Land mit blutigem Terror besonders grausam überzog. Pier Pasolinis Film Accattone, von dem in Thomas Grubers Ausstattung ein Plakat die Straße vor Sant’Andrea della Valle sicher nicht von ungefähr schmückt, entstand allerdings schon 1961. Gleichwohl: die neu gewählte Atmosphäre passt zu Tosca durchaus.

Inszenatorisch wird das im 1. Akt, der auch musikalisch nicht sofort abhebt, allerdings mehr gewollt als wirklich gezeigt. Durch Hinaufziehen der Kirchenfassade weitet sich die Bühnen zum sakralen Innenraum, und der wiederum öffnet sich für das Te Deum zu einem Platz, wo aus einem brennenden Auto eine Leiche geborgen wird, ein Mafia-Opfer fraglos. Da machen Libretto und Musik freilich nicht ganz mit. Bei der kürzlich für einige Vorstellungen wiederaufgenommenen Kölner Produktion (Regie: Thilo Reinhardt, Ausstattung: Paul Zoller) spielt die Tosca-Handlung in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs. Die Kirche ist zunächst Zufluchtsort für (möglicherweise ausgebombte) Menschen, wird später zu einem „Führerhauptquartier“ entwürdigt. Ein zutiefst verstörendes und auch klaustrophobisches Bild.

Die Folgeszenen in Bonn fallen optisch zwingender aus. Über das sonnendurchflutete Scarpia-Büro mag man geteilter Meinung sein, das Hinterhof-Milieu des 3. Aktes, in welchem sich heimliche Exekutionen unschwer vorstellen lassen, besitzt jedoch starke Ausstrahlung. Und hier spielt sich auch die anrührendste Szene in Kochheims Inszenierung ab. Ein junger Militär (auf dem Besetzungszettel fungiert die klar singende Katharina Liebhardt nach wie vor als „Hirt“) hilft Cavaradossi beim Schreiben des Briefes, als dieser die Kontrolle über seine Hände verliert. Besonders einprägsam gelingen auch zwei Momente im Mittelakt: Scarpia betrachtet mit widerlich süffisanten Gesichtszügen Tosca bei ihrem „Gebet“; nach dem Mord (Strangulation per Kabel) schüttelt diese ein heftiger Weinkrampf. Nie hätte sie geglaubt, eine solche Tat vollbringen zu können. Da ist in ihr etwas zerstört worden. Keine Kerzenzeremonie also. Auch sonst wirkt Kochheims Regie grundsätzlich durchdacht und darstellerisch lebendig gestaltet.

 

So, wie die Inszenierung nach der Pause (zwischen 1. und 2. Akt) an dramatischer Fahrt aufnimmt, steigern sich auch die musikalischen Leistungen. Zunächst kämpft Hendrik Vestmann noch ein wenig um den rechten Puccini-Sound, vieles klingt einfach zu trocken. Danach wirkt das Beethoven Orchester gelöster, gleichzeitig schlagkräftiger. Das Melos strömt, und die Scarpia-Brutalität teilt sich in hochgepeitschten Klängen und schneidenden Akkordballungen mit.

Bei dem finnischen Tenor Christian Juslin (Cavaradossi) öffnet sich die Stimme, welche zu Beginn etwas kehlig klingt, zunehmend, bekommt schließlich echten Belcantoglanz. Darstellerisch schont er sich nicht. Dass er zu Beginn eher wie ein Börsenmakler oder Finanzbeamter als ein Künstler wirkt, geht auf das Konto Kochheims (und etwas auch der Kostümierung von Gabriele Jaenecke). Die Regie möchte das Verhältnis von Cavaradossi und Tosca offenbar als ein nicht gerade entspanntes zeigen, vielleicht sogar eine Beziehungskrise andeuten. Die Drangsalierungen durch Scarpia schmieden sie aber wieder zusammen. Soll dies so gemeint gewesen sein, hätte die Inszenierung allerdings noch etwas stringenter arbeiten müssen. In der Titelpartie ist Yannick-Muriel Noah anders als ihr Partner sofort „da“. Sie singt Tosca eher leuchtend lyrisch als dramatisch, was der Figur freilich eine besonders humane Kontur gibt. Zimperlich agiert sie deswegen aber nicht, versteht sich gegenüber Scarpia sogar bis zu einem gewissen Grad zu wehren. Dessen Perfidie trifft der aus Baku/Aserbeidschan stammende Evez Abdulla mit nachtwandlerischer Sicherheit; sein fieses Grinsen macht regelrecht erschauern. Das explosive stimmliche Material fiel bereits in der letzten Bonner Produktion, George Benjamins Written on Skin, nachhaltig auf. Für ihn lohnt sich ein Youtube-Besuch. Die subalternen Scarpia-Knechte Spoletta und Sciarrone sind mit Johannes Mertes und Alexey Smirnov typengerecht besetzt, ebenso der Angelotti mit Rolf Broman. Den Mesner gibt Priit Volmer als jungen, etwas skurrilen Eiferer - ein sehr individuelles Porträt mit der angemessenen Prise Komik.