Die Italienerin im Völkerkundemuseum
Man staunte nicht schlecht, als sich der Vorhang nach der eher verhaltenen Ouvertüre zu Rossinis in jungen Jahren komponierten Erfolgsoper L´Italiana in Algeri hob. Statt eines Harems in nordafrikanischer Szenerie dominierte ein „lebensgroßer“ Passagierjet, der sich in das Gestrüpp eines dichten grünen Urwalds gebohrt hatte. Das Dach und ein Flügel waren weitgehend weggerissen, ein Seitenteil, dem man sogar die Fenster öffnen konnte, wurde herumgeschleppt, das linke Turbinengehäuse war völlig leer, aber es scheint keine Toten gegeben zu haben. Denn die Überlebenden hatten eine richtige Urwaldstadt aus Bambusstäben gebaut, mit Dusche, Leitern und einem Windrad, welches sogar ein Funkgerät versorgen konnte. Man futterte portionierte Mahlzeiten aus dem Service-Trolley und plünderte die Bordbar, lümmelte sich auf den Flugzeugsitzen und sang aus einer Rettungsinsel: die einschlägigen Urwald-Camp-TV-Serien lassen herzlich grüßen. Und das Beste: der Vogel hob zur Flucht sogar wieder ab, zwar ohne die Turbine, aber mit Sicherheitsbelehrung durch die Flugbegleiter, mit Sauerstoffmasken, die hoch vom Schnürboden fielen und einem Haufen Krach und Qualm. Scheint auch geklappt zu haben, wenn auch vermutlich ohne die erforderliche Wiederstarterlaubnis.
Dem damaligem Hang nach exotischen Opernstoffen war schon Mozart mit seiner Entführung gefolgt, auch Rossini versuchte mit seiner L´Italiana in Algeri nachzuziehen. Aber im Gegensatz zu Mozarts „Türkenmusik“ in seiner Entführung wird die Exotik von Rossini weder in der Italienerin noch bei Il Turco in Italia musikalisch umgesetzt. So fühlte sich Regisseur David Hermann örtlich ungebunden, wählte den Urwald als Spielwiese und verpackte die Choristen als schaurige Gestalten mit überdimensionalen geisterhaften afrikanischen Gesichtsmasken und Lumpengewändern – unter denen dann zur Flucht im Flieger Zivilkleidung und Business-Anzüge steckten; sogar der Pilot war mit dabei. Hermann hatte das Stück bereits in Metz auf die Bretter gebracht, für das aufwändige Bühnenbild (Rifail Ajdarpasic) mussten sogar Teile von einem Flugzeug-Friedhof und zahlreiche dicke Bambusstangen mühsam beschafft werden.
Natürlich fragt man sich, ob ein solches exotisches Ambiente überhaupt Sinn macht, die Oper verfälscht oder gar von der Musik ablenkt; denn bis auf die Spaghetti, die zur Ernennung von Kaimakan und Pappataci gefuttert werden mussten, war nichts Italienisches und erst recht nichts Algerisches zu entdecken. So fanden auch weder der ungewöhnliche Spielort und noch Besonderheit der Handlung – bis auf das Wort „bruchgelandet“ - eine Aufnahme in das Opernprogramm.
Auch der Rezensent gesteht freimütig, in seiner Beurteilung des Abends immer mal wieder geschwankt zu haben. Aber Rossini war im Gegensatz zu zahlreichen seiner Kollegen ein Komponist von spaßigen Buffa-Opern mit vielfältigen Beziehungsproblemen, vor allem aber ohne tiefgründigen weltanschaulichen, politischen oder aufklärerischen Hintergrund etwa wie bei Verdi oder auch bei Mozart. So kann man dieser schrägen Produktion schon ihre Berechtigung zusprechen, weil sie einfach nur Freude macht mit einer ausgefeilten Personenführung, tollen Farben, in fantasievollen Kostümen von Bettina Walter und mit einer Unzahl von Gags und originellen kleinen Regieeinfällen, die hier gar nicht alle aufgezählt werden - und auch nicht immer ganz nachvollzogen werden können. Aber mit Logik und Ratio darf man viele Opern ohnehin nicht angehen, wohl aber mit Freude und Gelassenheit am bunten Spiel und der fantastischen Musik.
Hier hielt sich die Begeisterung allerdings schon ein wenig in Grenzen. Die „Neue Philharmonie Westfalen“ unter dem Ersten Kapellmeister Valtteri Rauhalammi schlug sich wacker, wenn auch gelegentlich und vor allem im ersten Teil etwas antriebsschwach; auch die Bläser hat man schon exakter gehört. Rauhalammi dirigierte sehr gleichmäßig, könnte das Orchester aber durchaus mehr fordern und auch bei kleinen Wackeleien energischer eingreifen. Aber immerhin – er steigerte sich zunehmend.
Carola Gruber als stets präsente und charmante Titelfigur bot mit ihrem ausdrucksstarken Mezzo und viel Selbstbewusstsein eine beachtliche Interpretation der männerverwirrenden Rolle, wohingegen der junge Hongjae Lim vor allem in den brisanten Höhen doch einige Probleme hatte; aber er schlug sich beherzt und mit Verve gegen das teilweise zu laut aufspielende Orchester. Auch Krzysztof Borysiewicz als herrlich machohaft gespielter Mustafa hatte mit seiner beweglichen, aber eher kleinen Stimme oft Mühe durchzukommen, konnte aber schauspielerisch umso mehr punkten. Anke Sieloff stattete die Zulma musikalisch wunderbar aus, auch Alfia Kamalova als selbstbewusste Ehefrau Alvira überzeugt sängerisch wie auch szenisch. Die Partie des Taddeo, der von den Einheimischen als Knoblauchgericht gekocht werden soll und dann doch zum „großen Kaimakan“ mutiert, meistert Piotr Prochera vorzüglich und zur großen Erheiterung des Publikums. Der wie gewohnt stimmschöne Chor hatte viel zu tun und war durch die Gesichtsmasken sicher etwas gehandicapt; daraus mögen kleinere Tempo-Wackeleien resultieren.
Insgesamt eine sehr erfreuliche und erfrischende Inszenierung, die auch dem nur gelegentlichen Opernbesucher nachdrücklich angeraten werden kann; der Besuch lohnt alle Mal.