Opera buffa und Psychodrama
Das Philharmonische Orchester Hagen lässt unter David Marlow die Ouvertüre ebenso präzise wie spritzig erklingen, der quirlige Buffoton von Don Pasquale wird auch während der gesamten Aufführung mit animierender Verve durchgehalten. Der seit der letzten Spielzeit als 1. Kapellmeister amtierende Engländer David Marlow arbeitet(e) u.a. als Leiter des WDR Rundfunkchores und war Assistent von Andris Nelsons in Bayreuth. Also weiterhin im Studium - der Don Pasquale ist ihm gelungen, geht ihm angenehm flott von der Hand.
Auf der Bühne, die von Anfang an geöffnet ist, sieht man ein anheimelndes, dekorhaftes Interieur von Lena Brexendorff, welches offenbar auf die Ausstattung der Pariser Uraufführung von 1843 anspielen möchte und so der Regisseurin Annette Wolf mancherlei Gelegenheit für die Anwendung des Prinzips „Theater auf dem Theater“ gibt. Da der Titelheld, im Rollstuhl sitzend, im Stil des 18. Jahrhunderts gekleidet ist, erwartet man zunächst eine brave einzueins- Umsetzung der Librettovorgaben. Doch die Ausstatterin spielt mit Zeiten und Epochen. Das Bühnenbild verwandelt sich beim Dienerchor beispielsweise in eine moderne Großküche, in der endlos lange Spaghetti produziert werden. Malatesta ist in elegantem Biedermeier ausstaffiert, Norina trägt u.a. einen Minirock, in den sie sich während ihrer Arien-Koloraturen hinein zwängt. Bei der ersten Begegnung mit Pasquale wird er züchtig mit einer Krinoline bedeckt. Ernesto, der Heißsporn, steckt in ausgebeulter Hose und einem Parka. Die Optik changiert also überaus witzig.
Die köstlichste Szene innerhalb der Inszenierung ist ausgerechnet musiklos. Pasquale liest vor geschlossenem Vorhang den gerade aufgefundenen Brief, welcher Norinas Stelldichein mit einem heimlichen Liebhaber verrät, auf Italienisch. Die anderen Protagonisten, auf der Seitenbühne in Reih und Glied aufgestellt, „übersetzen“ in ihrer jeweiligen Landessprache: Maria Klier (Norina) ins Deutsche, Raymond Ayers (Malatesta) ins Englische und Kejia Xiong (Ernesto) ins Chinesische.
Insgesamt gibt sich die Regie freilich eher konventionell und bei allem Tempo behäbig. Die Dienerfiguren, welche für kleinere Umbauten sicher von Vorteil sind, wirken stereotyp und in ihren aufgesetzten Reaktionen manchmal sogar etwas nervig. Wenn Pasquale sich während der Ouvertüre zu der Musik von „So anch’io la virtù magica“ aus dem Rollstuhl beugt und erwartungsvolle Blicke in sein viel zu großes Haus schickt, glaubt man, ein wenig psychologische Feinarbeit über Einsamkeit und Johannistrieb erwarten zu dürfen. Doch Annette Wolf verbleibt dann doch in weitgehend traditioneller Komik, der partielle Wirkung freilich nicht abgesprochen werden soll. Aber die schauspielerische Potenz von Rainer Zaun mit ihrer virtuosen Gestik und Mimik wäre fraglos noch gewinnbringender zu nutzen gewesen, speziell für ambivalente Gefühle und für Zwischentöne. Immerhin gerät die Reaktion Pasquales nach der Ohrfeige überzeugend. Stimmlich ist der Sängerdarsteller voll auf dem Posten.
Ihm ebenbürtig: Raymond Ayers, als Malatesta ein eleganter Drahtzieher, fesch in der Erscheinung und markant seinen Kavaliersbariton einsetzend. Dass er in der Premiere aufgrund von Tempoüberhitzung im Duett mit Norina kurz ausstieg, ist nicht weiter von Belang, imponierend hingegen, wie souverän er in seinen Part zurück fand. Maria Klier besitzt alle notwendige feminine Raffinesse für die Norina. Sie singt absolut koloraturen- und höhensicher, das Timbre wirkt mitunter nur etwas spitz. Der junge Chinese Kejia Xiong wurde, so seine Biografie auf der Website des Theaters Hagen, als Belcantosänger verschiedentlich hochgelobt. In der Rolle des Ernesto muss er sich zumindest warm singen. Zunächst klingt die Höhe eng und scheppert auch ein wenig, was nicht zuletzt dem Fluss der Arie „Cercherò lontana terra“ abträglich ist. In der Serenade wird das Organ gelöster und gewinnt an Schmelz, die heiklen Sprünge im Duett mit Norina und der Mezza-voce-Schlusston gelingen ausgezeichnet. Auf jeden Fall hat das Hagener Publikum den sympathischen und spielfreudigen Xiong nachhaltig ans Herz gedrückt. Kammersänger Horst Fiehl, seit 40 Jahren am Haus, übernimmt jetzt kleine Partien wie den Notar.