Die ägyptische Maria im Wuppertal, Theater

Leidensweg zu Gottes Gnade

Richard Strauss – zu dekadent. Strawinsky – primitiv. Schönberg – ein Fall von kalter Wissenschaftlichkeit. So hart ging der italienische Komponist Alfredo Casella mit einigen seiner Zeitgenossen ins Gericht und stellte deren Musik zugleich ein stilistisches Ideal gegenüber, das er als „Klassizismus in harmonischer Eurythmie“ bezeichnete. Dies sei der wirkliche musikalische Futurismus.

Solcherart Bekenntnisse, die für sich reklamieren, die in Worte gegossene Speerspitze der (klingenden) Avantgarde zu sein, gibt es in der Historie zuhauf. Casellas Text, 1918 erschienen, dürfte dabei nicht zuletzt ein Reflex sein auf das sieben Jahre zuvor veröffentlichte „Futuristische Manifest“ seines Landsmannes Filippo Tommaso Marinetti. Denn während dieser von den Künsten einforderte, das Loblied auf alles Technische, Motorische zu singen, war jenem die daraus folgende kompositorische Entscheidung, Geräusche zu verwenden, gewiss fremd.

Casella gründete 1917 eine Gesellschaft für Neue Musik, die allerdings nur zwei Jahre Bestand hatte. Ihm zur Seite stand neben anderen Ottorino Respighi, zu Lebzeiten ein bedeutender Vertreter seines Fachs, heute allerdings eher selten auf den Spielplänen von Theatern oder Konzerthäusern zu finden. Seine Roma-Trilogie, jene drei effektvollen, raffiniert instrumentierten symphonischen Dichtungen, haben es immerhin zu einiger Berühmtheit gebracht. Und auch sein Rückgriff auf die Alte Musik, etwa in Gestalt der Antiche arie e danze, findet noch heute Beachtung. Dieses Stück wurde übrigens, wie auch Fontane di Roma, 1917 uraufgeführt. Beide Werke umfassen die Spannweite Respighischen Komponierens – von der suggestiven, sich auf den Instrumentationsgenius Rimskij-Korsakow beziehenden orchestralen Wucht und Farbigkeit hin zu einem filigranen Klassizismus.

Und stilistisch irgendwo dazwischen liegt Maria Egiziaca, jenes Mysterium in einem Akt (und drei Episoden), das zwar unter dem Gattungsbegriff Oper firmiert, zugleich aber oratorische Züge trägt. Das mit seinen Lyrismen, die höchst suggestiv beinahe das ganze Werk durchziehen, die Nähe zum Verismo nicht verleugnet (Puccini und Respighi waren gute Freunde). Das andererseits, etwa in den (wenigen) rezitativischen Passagen, auf die Tonsprache Monteverdis zurückgreift.

Die Oper ist zudem wenig handlungsorientiert, schildert stattdessen Begegnungen und Befindlichkeiten eben jener Maria aus Ägypten, die als Prostituierte arbeitet, sich indes auf einen steinigen Weg der Buße macht, der sie über Jerusalem in die Wüste führt. Und der ihr letztlich Gottes Gnade offenbart. Das Libretto, basierend auf einer frühchristlichen Legende, schrieb Claudio Guastalla.

Über Respighi hat seine langjährige Frau Elsa ein instruktives Buch geschrieben, das 1963 ins Deutsche übersetzt wurde. Sie nennt ihn liebevoll Maestro, doch geht es hier nicht um eine Idealisierung, vielmehr um eine konzise Würdigung zu Leben und Werk. Elsa berichtet über eine konzertante Aufführung der Maria im Augusteo in Rom vor eine Reihe von Orgelpfeifen. „Diese Aufführung entsprach genau der Konzeption Respighis und Guastallas“ heißt es weiter.

Ein Satz, der nicht zuletzt bezeugt, dass die Entscheidung der Wuppertaler Oper, Maria Egiziaca in verschiedenen Kirchen der Stadt herauszubringen, mehr als gerechtfertigt ist. Garantiert die Wahl der Aufführungsorte doch ein hohes Maß an Authentizität. Andererseits wagen sich Dirigent Florian Frannek und Regisseur Johannes Blum an eine szenische Darstellung. Und das ist, so offenbart es die Premiere in der Immanuelskirche (Wuppertal-Barmen), nicht ganz unproblematisch.

In diesem Fall heißt Inszenierung, den Fokus auf die Interaktion der Protagonisten zu lenken. Das gelingt trefflich in der Konfrontation der Maria mit einem Pilger, der sich empört zeigt über ihr lasterhaftes Leben. Die Nebenfiguren hingegen bleiben blass, stehen allzu sehr für den konzertanten Charakter der Oper. Auf ein Bühnenbild wird verzichtet, der Kirchenraum ist – im Sinne Respighis – Szenerie genug.

Dennoch setzt Regisseur Johannes Blum in Kooperation mit Jugendlichen des „Medienprojekts Wuppertal“ auf weitere Bildelemente in Form projizierter Videoschnipsel. Wir sehen amorphe Formen, Menschengewimmel, einen Jahrmarkt, wüste Gegenden oder ein Mädchen, das wie verloren in die Kamera lugt. Assoziative Illustrationen also, die mehr oder weniger sinnträchtig aufflackern. Zwingend ist da nichts.

Bezwingend gibt sich allerdings die Musik, die das Wuppertaler Sinfonieorchester in allem süffigen Glanz wie filigraner Raffinesse aufblühen lässt. Wenn auch Dirigent Florian Frannek nur bedingt die dynamische Balance zwischen dem etwa 30 Köpfe starken Klangkörper und den Stimmen hält. Manche Lyrismen wirken zu dick aufgetragen, die religiöse Inbrunst – auch der vorzügliche Chor gibt hier alles – neigt zur Überzeichnung.

Für die Sänger, allen voran Dorothea Brandt (Maria) und Thomas Laske (Pilger), ist es nicht immer leicht, dagegen zu halten. Trotzdem: Laskes wütender Beschwörungston ist fulminant. Und den Weg Marias von der koketten Hure zur großen Leidensikone gestaltet die Sopranistin mit Esprit und Vehemenz.

Respighis Werk ist dieser engagierten Entdeckung durchaus würdig. Da stört auch nicht, dass der Italiener bisweilen filmmusikalische Töne anschlägt. Zu bezweifeln ist allerdings, dass Alfredo Casella diese im Sinne seines Futurismus-Verständnisses akzeptiert hätte.