Prinzessin im Eis im Aachen, Theater

Überfrachtet

Es ist ein schöner, vor allem origineller Plot für eine Oper. Eine multinational zusammengesetzte Polarexpedition findet, auf der Suche nach zur Einlagerung von Gen-Material geeigneten Eishöhlen, eine seit hunderten von Jahren eingefrorene Prinzessin. Sie wird aufgetaut und schnell Mittelpunkt der kleinen Gesellschaft. Die Männer balgen sich um sie. Nach vielem Hin und Her verliebt sie sich in den deutschen Leiter der Expedition, treibt aber mit ihm unversehens auf einer Eisscholle zurück und lässt die scheiternde Expedition zurück.

Leider kommen das Libretto von Constantin von Castenstein und die Musik des Aachener Komponisten Anno Schreier arg überfrachtet daher. Castenstein kann sich nicht entscheiden, ob er einfach eine Familienoper schreiben will, oder doch eher eine Politsatire im engagierten Öko-Thriller-Modus, ob Komödie oder Absurdes Theater. Den irrlichternden Text mit den vielen losen Vorgaben setzt Schreier auf ein lautes, spätromantisch geprägtes, von Geräuscheruptionen überlagertes Klangfundament. Und die Regisseurin Anna Malunat sucht sich ihren Weg durch dieses Labyrinth der Strukturen nicht mit der Machete, sondern eher mit einem Konfrontationen mit Wort und Musik sorgfältig vermeidenden GPS.

Dass diese Prinzessin im Eis ein tolles Ding hätte werden können – und eigentlich immer noch werden kann! -, spürt man dennoch an vielen Stellen. Wenn etwa von Castenstein einfach intelligent-witzige Dialoge ohne Pointenzwang schreibt. Hierfür bieten ihm besonders die verschiedenen Nationalitäten der Expeditionsmitglieder samt eingeschriebenen Klischees eine tolle Vorlage. Wenn Schreier das Klangbild kammermusikalisch auflichtet, hört man Theaterinstinkt, merkt man vor allem, dass dieser Mann wirklich für Stimmen schreiben kann. Das gilt für die musikalisch als eine Art Kitsch-Salome gezeichnete Prinzessin, der Katharina Hagopian ihren schön geführten, sich ins jugendlich-dramatische Fach entwickelnden Sopran schenkt, wird aber vor allem in vielen kurzen Passagen deutlich. Wenn die männlichen Expeditionsmitglieder wie Freier vor die Prinzessin treten, bekommt nicht nur jeder ein individuelles musikalisches Idiom geschenkt. Dieses wird auch exklusiv – und vor allem unprätentiös – mit einer Epoche der Musikgeschichte verlinkt. In den musikalisch differenziert gestalteten Dialogpassagen zeigt auch Anna Malunat mit großem Gespür für das Mögliche ihre Regiefähigkeiten. Dabei wird sie von Geelke Gayckens einfachem Schneebühnenbild, vor allem aber von den fantasievollen Kostümen von Mona Ulrich unterstützt. Dennoch wäre etwas mehr Bühnenzauber dem Stück sicher gut bekommen.

Gesungen wird vom ganzen Ensemble mit Spaß und Aplomb. Jelena Rakic gießt als Chinesin lustvoll Koloraturen über der Eiswüste aus, die Eun-Kuyong Kim mit brustigem Mezzo konterkariert. Rüdiger Nikodem Lasa bietet mit kraftvollem Bariton eine heitere, amerikanische Mischung aus Geheimdienstler und Cowboy und Pawel Lawreszuk und Jorge Escobar gewinnen viele Publikumssympathien als Wodka-selige Russenzwillinge. Dazu – eine Seltenheit – drei tolle Tenöre: Patrizio Arroyo als weinerlicher Latino-Herzensbrecher mit schönen Lyrismen, Johan Weigel als angemessen spröder, aber musikalisch biegsamer wie durchschlagskräftiger Expeditionsleiter Schneupel. Und dann Keith Stonum. Er spielt einen afrikanischen Klimaforscher, der ständig furchtbar friert, was er mit Stimme und Körper einfach wunderbar spielt. Seine Szene mit dem vom Männerchor des Hauses mit Enthusiasmus und Timing verkörperten Eisbärenchor ist – trotz des Öko-Kampf-Textes der Tiere – der Höhepunkt des Abends. Hier treffen sich Witz und Poesie in Musik und Inszenierung. In der Richtung ist was zu holen fürs heutige Musiktheater.