Spannender Stummfilm
Diese von der Komischen Oper Berlin übernommene Zauberflöte ist mit Sicherheit eine der ungewöhnlichsten und spannendsten Musiktheaterproduktionen der letzten Jahre. Statt eines Bühnenbildes gibt es eine Leinwand. Auf dieser läuft ein animierter Stummfilm ab. Die Sänger werden aus der Wand gedreht und Teil des Bildes. Sie singen live, ihre Dialoge werden als Schrifttitel in die Bilder integriert.
Paul Barritts Animationsfilme sprühen geradezu vor Fantasie. Das beginnt - nach schön musizierter Ouvertüre mit wenigen Wacklern vor geschlossenem Vorhang – mit einem witzigen Drachen (der „schrecklichen Schlange“) und hört bei in Strapsen tanzenden Werwölfen, tanzenden Sternbildern, schwebenden Elefanten und riesigen, wie Maschinen funktionierenden Köpfen noch lange nicht auf. Überhaupt Maschinen. Die Regisseure Barrie Kosky und Suzanne Andrade setzen die Zauberflöte an eine gedachte Nahtstelle zwischen barockem Zaubertheater und Frühindustrialisierung. Sarastro und seine allesamt mit den gleichen Zylindern, Bärten und Gehröcken ausgestatteten Priester stehen für eine Welt der entindividualisierten Produktivität. Wissen wird angewendet, Schönheit geheiratet. Sie dient als Ablenkung und Gegenbild. Die Königin der Nacht als riesige Spinne hingegen lebt nur ihren Wünschen und Gelüsten. Die drei Damen sind in gleicher Farbe und Stil, aber mit vielen individuellen Accessoires gekleidet. Hier ist alles – augenzwinkernd – eitel. In diesen Antagonismus muss sich das junge Paar genauso einordnen wie der extreme Individualist Papageno.
Es gibt keinen Volkstheaterhumor in dieser Zauberflöte, sondern britischen „wit“. Und aller Spaß geht von den Bildern aus. Vor „Ein Mädchen oder Weibchen“ beispielsweise wird eine Brathähnchen-Zubereitungsmaschine gezeigt, im Stil der „Was passiert dann?“–Maschinen der Sesamstraße in den seligen 70ern. Immer wenn Papageno nach dem ersehnten Gummiadler greifen will, entschwindet das gesottene Vieh in luftige Höhen. 20, 30mal, fast jedes Mal wird gelacht. Dann beginnt er zu singen.
Die Sänger haben es nicht einfach. Sie stehen auf schmalstem Podest, müssen immer exakt in die richtige Richtung schauen und deuten, sich präzise bewegen und diese Bewegungen auch noch als übertrieben groß erscheinen lassen. Wir befinden uns ja im Stummfilm. Und so fantastisch die Sänger der Rheinoper das machen – hier werden dann doch die theatralischen Grenzen der gewählten Ästhetik spürbar. Die erzwungene Statik lähmt zwangsläufig das Spieltemperament. Gerade den jungen Figuren wünscht man die Möglichkeit, ihre Haltungen und Gefühle auch durch Bewegung im Raum, durch intensive Körperlichkeit ausdrücken zu können. So erfreut man sich an der fantasiereichen, überbordenden, multistilistischen Bilderflut – und natürlich an Mozarts Musik.
Axel Kober sorgt für ein erfrischend leichtfüßiges, wenn auch nicht immer homogenes Klangbild mit herausstechenden, auf die Romantik vorausweisenden ,Aufrauschern‘, am lautesten in der Geharnischten-Szene. Der Chor trumpft entspannt auf. Fast ausschließlich Hocherfreuliches bei den Solisten. Heidi Elisabeth Meier ist eine fantastisch geläufige, textverständliche Königin der Nacht mit wunderschönem Timbre. Ihr Gegenpart Sarastro ist Thorsten Grümbel, der artikulations- und tiefenstark auch den leider unsichtbaren Sprecher ‚erledigt‘. Wunderbar Jussi Myllys und Anke Krabbe als Liebespaar, anrührend vor allem in seinem ‚Galgenmonolog‘ der Papageno von Richard Sveda. Alle drei singen bewundernswert wortverständlich, was auch für den als Nosferatu gewandeten sehr präsenten Monostatos von Johannes Preißinger, die charmante Papagena der Luiza Fatyol und die Geharnischten Bruce Rankin und David Jerusalem gilt. Die dünne Höhe und schwankende Intonation der drei Knaben gehört zu einer Zauberflöte irgendwie dazu. Bei den drei Damen allerdings, die Sylvia Hamvasi, Marta Márquez und Katarzyna Kuncio wunderbar spielen, versteht man kaum ein Wort, was zumindest die mit dem Rezensenten die Vorstellung besuchende Kinderschar in Ratlosigkeit stürzte.